Ich ass eine Woche nur Notvorräte
Der Versuch
Die Coronakrise hat das Konzept «Notvorrat» wieder in unseren Alltag gebracht. In unserer Redaktion ging die Frage um, wie gut man in Krisenzeiten von der Wohlstandsverwahrlosung in den Überlebens-Modus wechseln kann. Also machten wir den Test. Ich habe mich eine Woche nur von einem Notvorrat-Paket der Firma «Sichersatt» ernährt.
So sieht mein Speiseplan normalerweise aus:
Und so die nächste Woche:
Darf ich vorstellen? Ein Monat Notvorrat oder knapp 52'000 Kilokalorien:
- Vollmilchpulver, 900g, ergibt 7 Liter
- Rote Linsen, 1400g
- Schwarze Bohnen vorgekocht, 800g
- Kichererbsen vorgekocht, 800g
- Gemüsemischung, 400g
- Risotto-Reis, 1600g
- Feinkristallzucker, 1800g
- Kartoffelstock, 1200g, 36 Portionen
- Dinkelflocken, 900g
- Hörnli, 900g
- Weizenmehl, 1000g
- Gemüsebouillon, 260g, ergibt 13 Liter
- Volleipulver, 200g, entspricht 15 Eiern
- Braune Sauce, vegan, 150g, ergibt 2.5 Liter Sauce (mein treuer Begleiter während dieser Woche)
Zusätzlich gibt es 3 x 500g NRG-5 Notfall-Riegel. Sie sehen aus wie Ziegelsteine und decken einen ganzen Tagesbedarf an Nährstoffen. Er schmeckt wie ein Dar-Vida mit Zucker und staubt so fest, dass sich mein Mund anfühlt wie ein Innerschweizer Schwingkeller im Hochsommer, aber hey: Survival of the fittest.
Das Team von «Sichersatt» war so nett und schickte mir noch das eine oder andere Goodie zum Aufpeppen meines Speiseplans: je eine Dose gefriergetrocknete Bananen und Himbeeren, eine Dose (!) Gouda Käse mit Mindesthaltbarkeitsdatum 30.04.2031 und ein Roggenbrot, ebenfalls aus der Dose.
Keine Gewürze, kein Öl, kein Kaffee
Ich bin guter Dinge. Immerhin muss ich mir keine grossen Gedanken machen, was ich koche und das Einkaufen entfällt auch. Gewürze, Öle und sonstige Raffinessen sind keine dabei. Man geht ja davon aus, diese im Notfall bereits zu Hause zu haben. Für unseren Versuch wähle ich aber die Hardcore-Variante: Kein Öl, keine Gewürze (ausser Bouillon-Pulver), keine Getränke ausser Wasser, keinen Kaffee (wieso mache ich das eigentlich?).
Zmorge
Beim Frühstück gehe ich keine grossen Risiken ein und setze grösstenteils auf Dinkelflocken. Da ich auch sonst kein Milchtrinker bin, koche ich diese in Wasser oder lasse sie über Nacht aufquellen. Geschmacklich gibt es aufregenderes, aber als Smoothie, zusammen mit den mitgelieferten Früchten, sind die Flocken gut trinkbar und machen satt. Zum Wochenende stelle ich mit Wasser, NRG-5 Riegel, Zucker und Himbeeren eine Art Babybrei her, der sogar richtig gut schmeckt.
Zmittag
Zum Mittagessen gibt's meistens Reste vom Abendessen. Kichererbsen und Linsen für die Proteine, getrocknetes Gemüse für die Nährstoffe, braune Sauce für den Geschmack. Der Kartoffelstock (richtig geraten) mit brauner Sauce versetzt mich zurück in den Hauswirtschaftsunterricht.
Ich bin erstaunt, wie viel von diesem Essen in mich hineinpasst. Ich merke aber, wie schnell sich nach einer Mahlzeit der Hunger meldet. Ich tippe darauf, dass hier die «versteckten» Fette, Öle und Zucker fehlen, die normalerweise ihren Beitrag an die Kalorienzufuhr (und den Geschmack) leisten. Knapp zwei Stunden nach dem Mittag knurrt mein Magen und ich fühle mich, als wäre ich bei McDonald's gewesen.
Dank NRG-5 Notfallriegel, von dem ich während des Nachmittagslochs ein Stück esse, falle ich beim abendlichen Training nicht komplett auseinander.
Znacht
Beim Abendessen versuche ich mir das Eine oder Andere einfallen zu lassen und die Monotonie zu brechen. Mit Weizenmehl, Bouillon und Wasser backe ich Weizentortillas, in die ich Reis und Bohnen einpacke. Die schmecken so gut, dass ich dieses Rezept gleich zwei Mal koche.
«Breakfast Burritos» aus Weizentortillas und Pulver-Eiern floppen dagegen total. Hier hilft auch der Alleskönner «braune Sauce» nicht mehr.
Auf der Suche nach Rezepten, die in meinen limitierten Zutatenplan passen, stosse ich auf das ägyptische Nationalgericht «Koshari». Es besteht grösstenteils aus Reis, Nudeln, Kichererbsen und Linsen: Volltreffer. Anstatt der notwendigen Gewürze muss ich mit Bouillon und Trockengemüse Vorlieb nehmen. Die ägyptische Spezialität aus Kohlenhydraten mit Kohlenhydraten und nochmals Kohlenhydraten ist eine willkommene Abwechslung auf meinem Trip durch die kulinarische Wüste Sahara. Koshari wird auf jeden Fall in der echten Version nochmal nachgekocht.
Das sagen Experten
Wir haben das Team für Ernährungstherapie in der Hirslanden Klinik St. Anna um eine Beurteilung gebeten:
- Das Gute:
Es wurden keine Süssigkeiten und kein Alkohol konsumiert. Auch die Proteinzufuhr wurde bei dieser fleischlosen Ernährung ausreichend durch Hülsenfrüchte und Weizen gedeckt.
- Das Schlechte:
Durch das Fehlen von Ölen und Nüssen konnte ich meinen Bedarf an lebenswichtigen Fettsäuren (wie etwa Omega 3 oder Omega 6) überhaupt nicht decken.
Trockenes Obst und Gemüse waren kein Ersatz für Frischprodukte. Viele Vitamine und Mineralstoffe gehen beim Vorkochen und Trocknen verloren. Insbesondere die Versorgung mit Vitamin C, Vitamin B12 und Folsäure war ungenügend. Auch Calcium wurde in dieser Woche zu wenig zugeführt.
Pro Tag nahm ich im Schnitt 2'400 Kilokalorien zu mir. Damit hätte der Notvorrat nur für 20 statt für 30 Tage gereicht. Kalorientechnisch habe ich auf Pump gelebt.
Eine solche Ernährungsform sei für drei bis vier Wochen unproblematisch, schreibt Sina Kaufmann von der Hirslanden Klinik St. Anna. «Bei längerfristigem Bedarf an einer Notversorgung sollte unbedingt ein hochwertiges Vitamin- und Mineralstoffsupplement und ein hochwertiges Speiseöl, wie zum Beispiel Rapsöl, hinzugefügt werden, um einer schwerwiegenden Mangelernährung vorzubeugen.»
Ich selbst fühlte mich während dieser Woche erstaunlich gut und vital. Mein Körpergewicht beim Start betrug 86,3 Kilo, verteilt auf 1,85 Meter. Am Sonntag sind es 84,5 Kilo. Fast zwei Kilo weniger in nur einer Woche. Habe ich gerade eine Diätform, die «Emergency-Diet», entdeckt?
Fazit: Wie war's?
Schwerer als gedacht. An und für sich gibt es Schlimmeres als Notvorrats-Food, aber bereits nach einer Woche komme ich beim Thema Abwechslung an meine Grenzen. Es hilft nicht, dass ich den Versuch ohne eigene Gewürze und Öl (Öl!) durchführe. Kein Bouillon und keine braune Sauce dieser Welt können diese Lücken füllen. Gegessen wird nur noch, um den Hunger zu stillen. Eine Woche Überleben statt Geniessen.
Auch wenn ich mich jetzt für den Notfall mental gerüstet sehe, hoffe ich, dass dies meine erste und letzte Erfahrung mit dieser (Über-) Lebensart bleibt.