«Schpinnsch enart»

Warum müssen alle immer die Ostschweizer nachahmen?

23.01.2022, 16:37 Uhr
· Online seit 23.01.2022, 15:34 Uhr
«Vio Bio», «Dör de da?» oder «Eodbeotörtli» – Unsere St.Galler Redaktorin Lara Abderhalden stellt die böse These auf, dass es keinen Schweizer Dialekt gibt, der öfters imitiert wird als der St.Galler oder Thurgauer Dialekt (dessen Unterschied sowieso die wenigsten kennen). Warum? Sie wagt eine Erklärung.
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«Säg emol enart, wömo no zämä ä Olma-Brodwuooscht esse» oder «Hopp Sangallä, innä mitem Ballä» – Menschen, die versuchen, die Ostschweizer nachzumachen, sagen solche Sätze nicht in einem normalen Ton. Die Worte werden oft herausgepresst, als müsste besonders viel Kraft in jedes Wort gelegt werden – so als würde jemand Leberpaste aus einer Tube drücken. Mit breitem Grinsen sagen sie «Wömo», «Tömo», «Söllemo» und schauen dich dabei ganz erwartungsvoll an.

Viele «o» und «ä» im Ostschweizer Wortschatz

Statt mit Lob quittiere ich die vermeintliche Sprachgewandheit jeweils mit einem kurzen Lächeln. Ich nerve mich nicht darüber, das wäre heuchlerisch, da ich mich selbst prächtig über andere Ausdrucksweisen und Dialekte amüsiere. Beispielsweise wenn die Luzerner «donä» oder «gliner» sagen oder Nidwaldner Marco Odermatt über seinen zweiten «Laif» spricht. Und ich muss zugeben, dass sich eine gewisse Frequenz an «o»-Endungen im Ostschweizer Wortschatz nicht leugnen lassen. Dennoch frage ich mich schon, wieso ein Bekannter aus der Region Solothurn bei einem Apéro von mir wissen will, ob mir «no Öpfel z Thurgaoo» haben.

Ich muss lachen, weil die Frage doch unerwartet mitten im Gespräch kam und so klischeehaft ist, dass sie irgendwie schon wieder lustig ist. Ich verkneife mir ein: «Das Toggenburg ist imfall nicht der Thurgau und richtig heisst es ‘im’ Thurgau.» Stattdessen stelle ich dem Kollegen die simple Frage: «Was ist so lustig daran, unseren Dialekt nachzuahmen?»

«Es ist so herzig»

Seine Antwort ist simpel: «Ich finde den Dialekt herzig.» Auch schon gehört, habe ich: «Es geht einfach so gut, den Dialekt zu imitieren und ihr Ostschweizer regt euch so süss darüber auf.» Und eigentlich finde ich diese Erklärungen sowohl nachvollziehbar als auch gerechtfertigt. Denn ein Dialekt, über den so viel hergezogen wird, wie über keinen anderen, hat eine gewisse Aufmerksamkeit verdient. Und auch wenn die Veräppelungen nicht immer nett gemeint sind, bringen sie den Dialekt in des Volkes Mund und das ist doch schön.

Ich glaube, dass die Ostschweizerinnen und Ostschweizer mit dem kollektiven Hochnehmen umzugehen gelernt haben. Während sich viele Schweizer Nicht-Berner kaum an ein «Äuwää» wagen, weil sie die belehrenden Worte bereits im Voraus hören können, hat jeder mindestens einmal in seinem Leben schon «enart» gesagt.

Und regt sich ein Ostschweizer über solche «Verarschungen» auf, tut er das so «heozig», dass das Gegenüber bestimmt nicht damit aufhört. «Du bisch doch en blöde Chog. Höo etz uf.» Zugegeben, so ganz ernst, kann ich uns Ostschweizer manchmal auch nicht nehmen und um die Frage doch noch zu beantworten: Nein, nicht einmal im Thurgau wachsen im Winter Äpfel.

veröffentlicht: 23. Januar 2022 15:34
aktualisiert: 23. Januar 2022 16:37
Quelle: PilatusToday

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