Schweiz

Auch ohne Pflicht: Mehr und mehr Kunden tragen Masken beim Einkaufen

01.04.2020, 11:45 Uhr
· Online seit 01.04.2020, 11:40 Uhr
Seit gut zwei Wochen ist die Schweiz im Krisen-Modus. Unser Reporter hat sich in Filialen von Migros, Lidl & Co. umgeschaut und festgestellt: Vor der Käsetheke weicht die Panik der Besonnenheit - verunsichert sind indes die Verkäuferinnen, die oft ungenügend geschützt sind.
Pascal Ritter
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Wie schön es war, merkt man erst, wenn es nicht mehr so ist. Zum Beispiel beim Einkaufen. Wie sorglos wir in die Filialen schlurften, wird uns erst bewusst, wenn wir mit zwei Metern Abstand voneinander in der Schlange stehen.

Gleichzeitig lernen wir zu schätzen, was wir früher verschmähten. Recycling-WC-Papier zum Beispiel oder Dinkel-Mehl. Zweieinhalb Wochen nach der Ausrufung der ausserordentlichen Lage sind zwar die meisten Regale wieder einigermassen gefüllt, aber die Auswahl hat da und dort gelitten.

Mit einem Tuch verhüllt und mit Plastikhandschuhen

Gestern Mittag in einem grossen Migros in der Stadt Zürich. Ein Ehepaar, das vom Alter her Eindeutig zur Risikogruppe gehört, steht vor dem Brotregal. Er trägt hellblaue Plastikhandschuhe und hat sich ein Tuch über den Mund gebunden. Weil es ständig runter rutscht, fixiert er es immer wieder mit der Hand. Nicht unbedingt optimal, wenn man bedenkt, dass man sich wegen des Virus möglichst wenig ins Gesicht fassen soll. Eine Frau um die vierzig wartet in sicherer Entfernung, bis sich das Paar für ein Brot entschieden hat. Erst als der Mann mit dem Schal und den Handschuhen sich abgewendet hat, greift sie selber zu.

Was auffällt in den Läden: Während einzelne Kunde Masken und Handschuhe mitbringen, trägt das Personal kaum Schutzausrüstung. Nicht die Bäckerin, die gerade einen Zopf aufs Blech legt und auch nicht der Fleischverkäufer, der den Lammrücken tranchiert. Ein Fischverkäufer trägt einen Handschuh. Allerdings nur an der rechten Hand.

Eine Verkäuferin sagt, sie hätten Masken und Handschuhe, dürften sie aber noch nicht tragen. Die Chefin habe das Signal dazu noch nicht gegeben. Bei der Migros-Pressestelle heisst es: «Das Tragen von Hygienemasken ist nicht angezeigt, diese sind medizinischem Personal und Kranken vorbehalten.»

Bei Coop und Lidl heisst es hingegen, das Personal dürfe Masken und Handschuhe tragen, wenn sie dies wünschten.

Die Lage hat sich fürs Personal verbessert

Das Personal im Laden litt in den letzten Wochen unter Stress. Nicht nur mussten sie die neuen Richtlinien umsetzten: Abstandsignale und Desinfektionsmittel aufstellen, auch die Leute wurden unfreundlich. «Mancher Kunde hat Angst und kann es nirgends rauslassen, da werden wir dann zum Blitzableiter», sagt eine Migros-Verkäuferin. Allerdings habe sich das in den letzten zwei Wochen bereits etwas verbessert. «Die Kunden haben sich an die neue Situation gewöhnt und sind nun wieder freundlicher», sagt die Verkäuferin an einem Migros-Take-Away-Stand. Und eine Frau, welche gerade dabei ist, neue Yogurths einzusortieren meint: «Ich werde nun öfter gefragt, wie es uns geht, manche bedanken sich sogar.»

Zwei Wochen nach Einführung der neuen Regeln haben sich die Menschen ans Abstandhalten gewöhnt. Viele haben auch realisiert, dass sie nicht zu hammstern brauchen. Andere haben einen derart grossen Vorrat angelegt, dass sie nun entspannt durch den Laden gehen.

Gehustet wird schon lange nicht mehr

Und doch ist das Unbehagen geblieben. Manche Kunden kreisen erratisch um die Regale. Können sie sich nicht entscheiden oder finden sie das Produkt nicht, um das sie die betagte Nachbarin gebeten hat?

Und es es still geworden. Gehustet wird schon lange nicht mehr, nun traut sich auch kaum mehr jemand, ein lautes Wort zu sagen. Umso mehr fällt es auf, wenn eine Verkäuferin laut wird, weil ein Kunde den Abstand nicht einhält. Der Einkauf ist vom Konsumerlebnis in Produktlandschaften zum Bezug von Lebensmitteln geworden.

Die Menschen grüssen sich kaum und wollen niemandem zu nahe treten. Gar nicht so einfach zwischen Frucht- und Gemüseregal. Wie zur Kompensation wirken die Leute auf der Strasse, aus sicherer Distanz, nun freundlicher. Sie grüssen, als wollten sie sagen: Es ist alles ganz normal, kein Grund zur Sorge.

Leere Paletten bei Aldi

Ortsbesuch in der Aargauer Gemeinde Gebenstorf. Hier gibt es 5521 Einwohner, einen Aldi, einen Coop, einen Migros und einen Denner. Auf dem grossen Parkplatz sieht man Menschen WC-Papier in ihre SUVs beigen. Die Palette, auf der sich sonst im Aldi die Rollen türmen, ist leer.

Eine Verkäuferin ist mit ihrer Arbeit während der Corona-Krise zufrieden. Statt nur an der Kasse zu sitzen, könne sie nun auch Regale auffüllen, was für Abwechslung sorge. Sie lobt das Tröpfchensystem. Ein Sicherheitsmann am Eingang sorgt dafür, dass nicht zu viele Menschen gleichzeitig im Laden sind. Offiziell dürfen pro 10 Quadratmeter Ladenfläche nur eine Kundin oder ein Kunde in den Laden. Vor dem Aldi sorgt ein Sicherheitsmann, dass die Regel eingehalten wird.

Migros und Denner teilen sich den Eingang und eine improvisierte Vereinzelungsanlage. Wie sonst am Flughafen bei der Gepäckabgabe, müssen die Kunden durch ein mit gelb-schwarzem Absperrband gekennzeichnetes Labyrinth. Ein junger Mann mit Mundschutz reicht auf Wunsch Desinfektionsmittel. Beim Coop erhält man am Eingang einen Zettel mit einer Nummer. Sind zu viele Nummern vergeben, muss man warten.

Plastikiglu bei Aldi, knappe Scheibe und ein Dankeschön bei der Migros

Auch beim Schutz der Angestellten zeigen sich Unterschiede in Gebenstorf. Am besten vor Infektionen geschützt scheinen die Kassiererinnen bei Aldi. Während im Migros nebenan nur eine knappe Plexiglasscheibe direkt vor der Verkäuferin angebracht wurde, befinden sich die Aldi-Verkäuferinnen in einer Art Plastik-Iglu. Nur dort, wo die Kunden das Geld hinlegen, gibt es eine Durchreiche. Im Coop drüben gibt es die nicht. Ein Kunde steht auf die Zehenspitzen und gibt seine 50er-Note obendurch.

Vor dem Aldi treffen neue Kunden ein. Ein südmerikanisches Paar steigt mit Mundschutz aus dem Auto. Es scheint, als sei das Maskentragen je nach Kreis, in dem sich die Leute bewegen, unterschiedlich akzeptiert. Während sich alteingesessene Schweizer kaum dazu durchringen können, einen Mundschutz zu tragen, scheinen sich Kunden mit Migrationshintergrund eher auf diese Weise zu schützen. Asiaten tragen sie selbstverständlich und auch Latinos bekunden wenige Mühe.

veröffentlicht: 1. April 2020 11:40
aktualisiert: 1. April 2020 11:45
Quelle: CH Media

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