Menschenhandel

Ausbeutung von Migrantinnen in der Schweiz nimmt zu – das sind die Gründe

15.05.2023, 12:47 Uhr
· Online seit 15.05.2023, 12:07 Uhr
Immer mehr Menschen werden Opfer von Menschenhandel und damit verbundener Gewalt. Die zumeist weiblichen Betroffenen werden hauptsächlich in der Schweiz ausgebeutet und nicht auf der Flucht selber.
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Im vergangenen Jahr hat die Fachstelle Frauenhandel und Frauenemigration (FIZ) 822 von Gewalt und Ausbeutung betroffene Menschen betreut, wie sie in einer Mitteilung vom Montag schreibt. Das entspreche einer deutlichen Zunahme, wie auch Doro Winkler, Expertin Menschenhandel bei der Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration bestätigt.

Grossteil wird in der Schweiz ausgebeutet

Man müsse aber grundsätzlich einordnen, ob es wirklich mehr Opfer von Menschenhandel gebe, oder ob man vermehrt hinschaue. «Wenn man nicht hinschaut, entdecken wir keinen Menschenhandel», sagt Doro Winkler auf Anfrage der Today-Redaktion.

Mitverantwortlich dafür seien das europäische Migrationsregime und die Ausländerpolitik in der Schweiz. Mit dem Ukraine-Krieg zeige sich auch: «Je sicherer die Fluchtrouten und je legaler die Migration, desto weniger Menschen werden Opfer von Menschenhandel», so Winkler. Sie meint: «Je höher unsere Mauern, desto eher gibt es mehr Opfer von Menschenhandel».

Falsche Versprechungen und fiktive Schulden

Am 24. Februar 2022 hatten russische Truppen die Ukraine überfallen, seither ist ein Drittel der ukrainischen Bevölkerung vor Raketenangriffen auf der Flucht. Das entspricht je rund sieben Millionen hauptsächlich Frauen und Kindern im Inland und im europäischen Ausland, darunter die Schweiz.

Von den beratenen Migrantinnen war ein Drittel aus Lateinamerika und der Karibik und ein Viertel aus EU- und Efta-Ländern. 35 Prozent waren Sexarbeiterinnen, 23 Prozent Opfer von Gewalt und Ausbeutung in Paarbeziehungen.

Ausbeutung kann sich unterschiedlich äussern. «Es kann sein, dass jemand in die Schweiz kommt, weil ihm ein guter Lohn versprochen wird», sagt Winkler, «und er dann erste merkt, dass die Arbeitsbedingungen ganz anders sind».

«Plötzlich müssen die Menschen fiktive Schulden zurückzahlen oder ihnen wird für Unterkunft und Verpflegung so viel Geld abgezogen, dass am Ende nichts übrig bleibt», erklärt Winkler.

Fehlende Selbstbestimmung

Der grösste Teil waren Frauen, die in der Prostitution ausgebeutet wurden. «Sie konnten zum Beispiel nicht selber bestimmen, wen sie bedienen, welche Praktiken sie anbieten und wie viel Geld sie verdienen. Diese Art von Ausbeutung treffen wir sehr oft an», sagt Winkler.

Im vergangenen Jahr wurden der FIZ aber nicht nur weibliche, sondern auch vermehrt männliche Opfer von sexueller Ausbeutung zugewiesen.

Die «Schengen-Festung» Europas mache Grenzen unüberwindbar und verunmögliche legale Migration für Menschen aus Drittstaaten, kritisiert die Fachstelle. Das treibe Menschen in eine Abhängigkeit. Zudem schütze das Dublin-Abkommen die Opfer nicht, sondern schaffe sie zurück in die Gewalt der Täter.

Aktive Zusammenarbeit von Opferschutz und Polizei

Auch das Schweizer Ausländergesetz schütze Opfer von häuslicher Gewalt zu wenig. Denn der Aufenthalt in der Schweiz sei oft an den Verbleib beim Ehepartner gebunden, selbst wenn dieser gewalttätig sei. «Es ist wichtig, dass alle Akteure miteinander zusammenarbeiten. Der Opferschutz, den wir leisten, die Polizei und die Staatsanwaltschaft. Alle zusammen müssen schauen, dass man die Opfer gut schützt und unterstützt», sagt Winkler.

So würden sich Opfer auch eher bereit erklären, gegen die Täterschaft auszusagen, damit man diese zur Rechenschaft ziehen könne.

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(sda/roa)

veröffentlicht: 15. Mai 2023 12:07
aktualisiert: 15. Mai 2023 12:47
Quelle: Today-Zentralredaktion

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