Bundesrat ist besorgt, will aber zuwarten – empörte Reaktionen von beiden Seiten
Der Bundesrat hat am Mittwoch beschlossen, die aktuellen Massnahmen beizubehalten. Nach einer detaillierten Analyse der epidemiologischen Situation sei er zum Schluss gekommen, dass die für eine Verschärfung festgelegten Kriterien nicht erfüllt seien, heisst es in einer Mitteilung des Bundesamtes für Gesundheit (BAG). Der Bundesrat verfolge die Situation aufmerksam und werde nächsten Mittwoch die Lage neu beurteilen. Aus Sicht des Bundesrates müsse nun die Zahl der Tests erhöht und das Contact Tracing verstärkt werden.
Der Reproduktionswert des Virus liegt mit 0,86 zurzeit unter 1. Nach Ansicht des Bundesrates ist dieser Rückgang und die geringe Zahl der neu gemeldeten Fälle in den letzten Tagen jedoch mit grosser Vorsicht zu betrachten. Sie liessen sich zu einem beträchtlichen Teil durch den Rückgang der durchgeführten Tests während der Feiertage sowie die Verzögerung bei den Meldungen der neuen Fälle, Hospitalisationen und Todesfälle erklären, argumentiert der Bundesrat.
Zufriedener Gewerbeverband, Wut bei Gastrosuisse, Besorgnis bei Virologen
Beim Schweizerischen Gewerbeverband zeigte man sich über die Haltung des Bundesrates zufrieden. «Wir sind froh, dass der Bundesrat vom Aktionismus wegkommt», sagte dessen Präsident Hans-Ulrich Bigler gegenüber der «Tagesschau» von SRF. Wütend sind dagegen die Gastronomen: Dass der Bundesrat nun trotz tieferer Fallzahlen und einem dem tiefer eingeschätzten R-Wert an den Massnahmen festhalte, sei «haltlos und willkürlich», schreibt Gastrosuisse-Präsident Casimir Platzer in einer Mitteilung.
Gastrosuisse fordert nun, dass der Bundesrat Entschädigungen bezahlt. Die SVP hatte bereits am Dienstag eine sofortige Öffnung der Gastrobranche gefordert und ausserdem nach «personellen Konsequenzen» bei der wissenschaftlichen Taskforce gerufen.
Isabella Eckerle: «Es gibt keine Entschuldigung»
Besorgt über die Situation in der Schweiz äusserte sich die Genfer Virologin Isabella Eckerle. Die Leiterin des Zentrums für Viruserkrankungen des Universitätsspitals Genfs riet auf Twitter zum «persönlichen Lockdown»:
Man kann nur raten, sich selbst - so gut es geht - zu schützen & in den persönlichen Lockdown zu gehen. Für viele ist das aber nicht möglich. Wer schützt diese Menschen? Die kommenden Monate werden sicher die schwersten der gesamten Pandemie werden #Schweiz #SARSCoV2 #COVID19 https://t.co/t9KltwsYx2
— Isabella Eckerle (@EckerleIsabella) December 30, 2020
Sie verweist auf die Situation in England, wo eine deutlich ansteckendere Variante des Virus die Fallzahlen explodieren lässt. Es sei mit Tausenden Toten, einem Kollaps des Gesundheitssystems und grossen wirtschaftlichen Schäden zu rechnen, so Eckerle.
Am Dienstag hatte die Taskforce des Bundesrates vorgerechnet, dass der Schweiz bis im März ein ähnliches Szenario drohe, wenn nicht weitere Massnahmen ergriffen würden. Niemand werde nun in einigen Wochen oder Monaten sagen können, dass dies unerwartet gekommen sei, so Eckerle. «Es gibt keine Entschuldigung», schreibt sie. (rwa/wap)