Schweiz in der Ukraine-Krise

Bundesrat will mit eigener Sanktionspolitik Türen offenlassen

· Online seit 25.02.2022, 16:20 Uhr
Die Schweizer Regierung hat ihre Haltung zur nur teilweisen Übernahme von EU-Sanktionen gegen Russland in der Ukraine-Krise verteidigt. Die eigenständige Sanktionspolitik soll die Türen für diplomatische Beziehungen mit den Konfliktparteien offenhalten.
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Traditionelle diplomatische Rolle soll erhalten bleiben

Das Angebot der guten Dienste sei ein Mehrwert der Schweiz, sagte Bundespräsident und Aussenminister Ignazio Cassis vor den Medien in Bern. «Wir müssen uns auf das Prinzip des Dialogs stützen.» Andere Länder könnten das nicht.

«Würde sie die Sanktionen automatisch übernehmen, könnte die Schweiz ihre traditionelle diplomatische Rolle nicht mehr glaubwürdig spielen», sagte Wirtschaftsminister Guy Parmelin.

Neutralität bedeute keineswegs Gleichgültigkeit, betonte Cassis. Die Neutralität verpflichte die Schweiz aber zu einer differenzierten Position. «Das ist in dieser Situation nicht einfach», gab der Bundespräsident zu.

Der Bundesrat präzisierte seine Erklärung vom Vortag, bei der er vermieden hatte, von Sanktionen durch die Schweiz zu sprechen. Damit sorgte der Bundesrat zeitweise für Verwirrung. Die Massnahmen der Schweiz dienen primär dazu, dass internationale Sanktionen nicht umgangen werden können. Grösstenteils haben sie jedoch dieselbe Wirkung wie die EU-Sanktionen.

Einreiseverbote gelten ab Freitagabend

Laut Wirtschaftsminister Guy Parmelin übernimmt die Schweiz die ersten von der EU erlassenen Sanktionen gegen russische Personen und Unternehmen direkt. Es handle sich um eine Liste mit 367 Einträgen.

Die betroffenen Personen dürfen beispielsweise nicht mehr in die Schweiz einreisen. Finanzfirmen sind zudem verpflichtet, bestehende Geschäftsbeziehungen mit den gelisteten Personen, Unternehmen und Organisationen dem Bund sofort zu melden. Die entsprechende Verordnung wurde für Freitag Abend in Kraft gesetzt.

Weitere von der EU beschlossene Sanktionen werde die Schweiz ebenfalls übernehmen und umsetzen, sagte Parmelin. Das gelte beispielsweise für die Einfuhrverbote aus Donezk und Luhansk. «Diese werden eins zu eins von der EU übernommen.»

Die Finanzsanktionen verbieten laut Parmelin beispielsweise Banken oder Versicherungen in der Schweiz, mit Sanktionierten neue Geschäfte zu machen. Schon bestehende Konten werden demnach nicht eingefroren, müssen dem Bund aber gemeldet werden.

Eine von der SP lancierte Petition mit rund 20'000 gesammelten Unterschriften verlangte vom Bundesrat die vollumfängliche Übernahme der EU-Sanktionen gegen Russland, inklusive dem Einfrieren von Konten. Die Schweiz sei wichtigster Rohstoffhandelsplatz und bedeutende Finanzdrehscheibe für russische Konzerne, so das Argument.

Schweiz evakuiert Botschaftspersonal

In der Ukraine ging derweil am Freitag der Angriff Russlands auf sein Nachbarland unvermindert weiter, und die russische Armee rückte bis nach Kiew vor. Das Schweizer Aussendepartement evakuierte einen Teil seiner Angestellten in der Botschaft in der Hauptstadt. Vor Ort verblieben laut dem Bund noch sechs oder sieben Personen. Die Botschaft blieb zunächst weiter tätig.

Der Schweizer Nahrungsmittelkonzern Nestlé schloss Werke und Lager in der Ukraine temporär ganz. Die Angestellten sollten aus Sicherheitsgründen zu Hause bleiben, teilte das Unternehmen der Nachrichtenagentur AWP mit. Nestlé beschäftigt in der Ukraine rund 5'000 Mitarbeitende.

Die Schweiz bereitete sich derzeit auf die Aufnahme von Kriegsflüchtlingen aus dem osteuropäischen Land vor. Die Schweiz sei «vorbereitet», sagte Justizministerin Karin Keller-Sutter. «Wir werden die Menschen in der Ukraine nicht im Stich lassen.» Die Schweiz werde sich eng mit den Schengen-Staaten austauschen und sich solidarisch zeigen, sagte die Bundesrätin. Details nannte sie nicht. Für Sonntag ist ein Ministertreffen auf EU-Ebene geplant.

In einem offenen Brief an den Bundesrat forderten mehrere Organisationen, die Schweiz solle bis zu 10'000 Flüchtlinge aus der Ukraine aufnehmen. Die Uno stellte sich auf bis zu vier Millionen Flüchtlingen aufgrund des Kriegs in der Ukraine ein.

(hap)

veröffentlicht: 25. Februar 2022 16:20
aktualisiert: 25. Februar 2022 16:20
Quelle: sda

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