Bundesrat

Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Zertifikatspflicht am Arbeitsplatz

· Online seit 26.08.2021, 15:33 Uhr
Geimpft, genesen und negativ getestet, das soll auch bei der Arbeit gelten. Der Bundesrat erwägt eine Ausdehnung der Zertifikatspflicht, um eine Überlastung der Spitäler mit Covid-Patienten zu verhindern.
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Darf der Arbeitgeber von seinen Angestellten ein Covid-Zertifikat verlangen?

Unter dem aktuellen Recht darf er das nur in bestimmten Arbeitsbereichen, wie die Luzerner Zeitung schreibt. Dazu zählt der Bund etwa Spitäler oder Pflegeheime, weil es dort um den Schutz von besonders gefährdeten Personen geht. Im Kanton Jura etwa brauchen Angestellte in Pflege- und Gesundheitseinrichtungen schon jetzt ein Covid-Zertifikat oder sie müssen sich regelmässig testen lassen.

In anderen Bereichen ist es umstritten, ob der Arbeitgeber ein Zertifikat verlangen darf. Bislang hat der Bundesrat den Arbeitsplatz explizit in den «grünen Bereich» eingeteilt, also in jenen «Bereich des alltäglichen Lebens», wo der Einsatz des Zertifikats nicht vorgesehen ist.

Angesichts des starken Anstiegs von Covid-Fällen ändert der Bundesrat die Strategie und will mit einer «lex specialis» Klarheit schaffen. Unter bestimmten Voraussetzungen soll die Anwendung des Zertifikats am Arbeitsplatz erlaubt werden. Der entsprechende Vorschlag ist im Moment in der Konsultation: Sozialpartner und Kantone können bis am Montag dazu Stellung nehmen.

Wo soll das Covid-Zertifikat zur Anwendung kommen?

Das Zertifikat soll dann zum Einsatz kommen, wenn «dies der Festlegung angemessener Schutzmassnahmen oder der Umsetzung des Testkonzepts dient», heisst es im Verordnungsentwurf. Konkret: Wenn ein Unternehmen die Zertifikatspflicht anwendet, kann es das Schutzkonzept anpassen oder gar weglassen.

Ein typisches Beispiel für eine mögliche Zertifikatspflicht sind Schlachthöfe, wo die Leute in engen Verhältnissen eine körperlich schwere Arbeit verrichten. Ist der Status der Angestellten bekannt, könnten diese beispielsweise auf das Tragen von Schutzanzügen verzichten.

Denkbar wäre auch, dass zum Beispiel eine Bank veranlasst, dass nur Angestellte mit Covid-Zertifikat Kundenkontakt haben dürfen. Schon heute dürfen Arbeitgeber übrigens bei den Schutzmassnahmen differenzieren: So können sie etwa Mitarbeitende von bestimmten Auflagen befreien, wenn diese sich freiwillig als geimpft, genesen oder getestet ausweisen.

Und was ist mit dem Landschaftsgärtner?

Der Landschaftsgärtner arbeitet in der Regel draussen, Abstände können gut eingehalten werden. In diesem Fall würde das Zertifikat für das Unternehmen keinen Mehrwert bringen. Es ist davon auszugehen, dass die Zertifikatspflicht in diesem Fall nicht erlaubt wäre. Allerdings ist die Formulierung im Verordnungsentwurf sehr vage, spricht der Interpretationsspielraum ist gross.

Dann erfährt also der Arbeitgeber dank dem Zertifikat, ob jemand geimpft ist?

Es kommt drauf an. Schon heute gibt es die Möglichkeit des Zertifikats light. In dieser Version, die nur in der Schweiz anwendbar ist, ist für den Arbeitgeber nicht ersichtlich, ob jemand geimpft, genesen oder negativ getestet ist. Im Verordnungsentwurf ist allerdings nicht festgehalten, dass die Light-Version zum Zuge kommt. Darüber würde wohl der Arbeitgeber entscheiden. Was indes festgehalten ist: Das Covid-Zertifikat darf nicht zu einer Diskriminierung zwischen geimpften und genesenen sowie ungeimpften Arbeitnehmern führen.

Gibt es Unterschiede zwischen privatrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Betrieben?

Ja, für öffentlich-rechtliche Betriebe wie etwa Gemeindeverwaltungen, Schulen oder Universitäten sind die Hürden für die Anwendung des Covid-Zertifikat höher als für Privatunternehmen. Bei öffentlich-rechtlichen Arbeitsverhältnissen muss geprüft werden, ob eine gesetzliche Grundlage zur Bearbeitung der Gesundheitsdaten besteht, welche aus dem Zertifikat hervorgehen. Aus dem gleichen Grund verzichtet der Bundesrat im Übrigen darauf, eine Zertifikatspflicht für Studierende von Universitäten oder Fachhochschulen zu fordern.

Darf mich mein Arbeitgeber zum Impfen zwingen?

Eine generelle Impfpflicht für die ganze Belegschaft eines Betriebes ist nicht zulässig, heisst es beim Staatssekretariat für Wirtschaft. Arbeitgeber dürfen von Arbeitnehmenden nur dann eine Impfung verlangen, wenn eine konkrete verhältnismässig hohe Gefährdung vorliegt, die sich im Fall einer Nichtimpfung trotz ergriffener sonstiger Schutzmassnahmen für die Mitarbeitenden selber oder Dritte (zum Beispiel Patienten, Klienten, Arbeitskollegen) ergibt.

Für jeden Einzelfall bedarf es einer Güterabwägung. Es muss für jeden Einzelfall eine entsprechende Güterabwägung stattfinden.

Weshalb kann denn die Swiss für das gesamte fliegende Personal ab Mitte November eine Corona-Impfpflicht einführen?

Die Fluggesellschaft begründet die Impfpflicht mit ausländischen Einreisebestimmungen und der fürsorgerischen Pflicht gegenüber den Mitarbeitenden. Der Arbeitsrechtler Thomas Geiser von der Universität St.Gallen beurteilte gegenüber SRF die Impfpflicht als juristisch heikel. Denn nicht das gesamte fliegende Personal werde auf Flügen in Länder eingesetzt, wo die Impfung eine Voraussetzung für die Einreise sei. Zudem könnte die Swiss als Arbeitgeber ihre Fürsorgepflicht auch mit anderen Schutzmassnahmen als die Impfung nachkommen.

Darf mir mein Arbeitgeber kündigen, wenn ich nicht geimpft bin?

Falls der Arbeitgeber aufgrund einer konkreten Situation die Impfung verlangen kann, dann verletzt ein Nichtbefolgen dieser Weisung eine Verletzung der arbeitsrechtlichen Pflichten. Dies kann eine Verwarnung, eine Versetzung im Betrieb oder schliesslich auch eine Kündigung zur Folge haben. Einzelne Kantone kennen heute zwar keine Impfpflicht, aber eine Testpflicht für ungeimpftes Pflegepersonal.

Weigert sich eine Person, an den Tests teilzunehmen, kann sie im Kanton Zürich ohne Lohn beurlaubt werden. Der Kanton Genf spricht Geldbussen aus. Im Kanton Jura wiederum erhält ungeimpftes Pflegepersonal nur noch 80 Prozent des Lohns, wenn es in Quarantäne muss.

Was sagen Arbeitnehmerverbände?

«Wir finden es gut, dass der Bundesrat diese Frage klärt», sagt Luca Cirigliano, Zentralsekretär des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB). Die neue Verordnung laufe aber darauf hinaus, dass faktisch sämtliche Branchen eine Impfpflicht einführen könnten. Eine Impfpflicht – im Gesundheitswesen ist das bereits möglich – sei ein schwerer Eingriff in die Persönlichkeitsrechte. «So weit darf es nicht kommen», sagt Cirigliano.

Der SGB fordert, dass die Tests weiterhin gratis bleiben – damit jene Personen, die sich nicht impfen lassen wollen oder können, kostenlos zu einem Zertifikat gelangen. Davon will der Bundesrat aber nichts wissen. Er hat am Mittwoch entschieden, dass die Tests für Personen ohne Symptome ab 1. Oktober kostenpflichtig werden. Der SGB ermutige selbstverständlich alle Arbeitnehmenden zum Impfen, eine faktische Zertifikatspflicht am Arbeitsplatz sei jedoch der falsche Weg zur Erhöhung der Impfquote.

Der SGB fordert die Arbeitgeber dazu auf, den Angestellten das Impfen während der Arbeitszeit zu ermöglichen – was längst nicht immer der Fall sei. Und: «Es müssen endlich niederschwellige Angebote entwickelt werden, um die Impfrate bei Arbeitnehmenden besonders mit Migrationshintergrund, zu erhöhen.»

Auch Travailsuisse beurteilt die mögliche Zertifikatspflicht am Arbeitsplatz skeptisch. Dies stelle natürlich eine weniger einschneidende Massnahme dar als weitere Schliessungen von Einrichtungen, Läden und Restaurants. Bei der praktischen Umsetzung stellten sich aber viele Fragezeichen, insbesondere in Bezug auf den Datenschutz. «Die Arbeitgebenden sollen auf keinen Fall erfahren, wer geimpft ist und wer nicht», fordert Travailsuisse-Präsident Adrian Wüthrich.

Was sagen die Wirtschaftsverbände?

Der Schweizerische Gewerbeverband hat bereits eine kurze Umfrage bei seinen Mitgliedern gemacht. Die Mehrheit lehne die Pläne des Bundesrats ab, sagt SGV-Präsident Fabio Regazzi. Er begegnet dem «vagen und unklaren» Verordnungsentwurf mit Skepsis. «Wir wollen nicht, dass die Arbeitgeber plötzlich zu Polizisten werden, welche die Zertifikate kontrollieren.» Regazzi befürchtet zudem, dass eine solche Regel zu einem indirekten Impfzwang bei Arbeitnehmer führen könnte.

Economiesuisse hingegen unterstützt den Bundesrat. Alle Arbeitgeber müssten entscheiden können, ob eine Zertifikatspflicht für die jeweiligen Verhältnisse notwendig sei. «Ein staatliches Verbot, das Zertifikat für Mitarbeitende einzufordern, würde es den Unternehmen unnötig erschweren, ihre Sorgfaltspflicht wahrzunehmen», schreibt der Wirtschaftsdachverband in einer Mitteilung. Für den Arbeitgeberverband sieht im Nachweis eines Covid-Zertifikats ein Mittel zur Verhinderung eines Lockdowns. Und die Arbeitgeber erhielten die Möglichkeit, differenzierte Schutzkonzepte für Geimpfte und Ungeimpfte einzuführen.

veröffentlicht: 26. August 2021 15:33
aktualisiert: 26. August 2021 15:33
Quelle: PilatusToday

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