Lobbying in der Schweiz

Hinterzimmer-Politik oder wichtiger Teil des Systems?

· Online seit 27.03.2023, 06:37 Uhr
Lobbyisten haben einen grossen Einfluss auf politische Entscheidungen in unserem Land. Ist dieser Einfluss gerechtfertigt? Wir haben bei zwei Interessensvertretern aus Bundesbern nachgefragt.
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«Die beste Möglichkeit für einen Politiker, sich eine Meinung zu einem schwierigen Thema zu bilden, ist es, alle beteiligten Lobbyisten gleichzeitig zu hören.» Dieses Zitat stammt von einem der berühmtesten Politiker der Geschichte – von John F. Kennedy. Es betont die Wichtigkeit für einen Bereich der Politik, der noch immer mit Vorurteilen behaftet ist.

Zum Beispiel: Lobbyisten nehmen zu grossen Einfluss auf politische Entscheidungen, obwohl sie nicht vom Stimmvolk demokratisch gewählt wurden. Sie vertreten nur Meinungen einzelner Akteure und nicht die der Gesellschaft. Oder der ganze Prozess sei viel zu intransparent («Hinterzimmer-Politik»).

Lobbyismus ist für viele ein Buch mit sieben Siegeln. Wir wollen ein wenig Licht ins Dunkel bringen und haben mit zwei Lobbyisten über ihre Arbeit und deren Wert für die Demokratie gesprochen.

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Wissens-Lücken schliessen mit praxisnahem Know-How

Andreas Lustenberger aus Zug ist Geschäftsleitungsmitglied von Caritas Schweiz. Die Organisation setzt sich seit vielen Jahrzehnten dafür ein, Armut zu lindern und gegen die Ursachen von Armut vorzugehen. Dafür lobbyiert Lustenberger seit rund drei Jahren in Bern. «Die Schweizer Politik würde ohne transparenten Lobbyismus nicht gleich gut funktionieren», sagt er im Gespräch und begründet: «Es braucht Organisationen wie Caritas, die Parlamentsmitglieder mit dem nötigen Fachwissen versorgen – in meinem Fall im Themenbereich Armutsbekämpfung.»

Schweizer Parlamentarier haben trotz Milizsystem eine Vielzahl an Themen zu bearbeiten. «Sie haben solch viele Themen, dass sie unmöglich überall genügend in die Tiefe gehen können», meint Lustenberger. Und hier kämen die Lobbyisten ins Spiel, um die Wissenslücken mit «externem, praxisnahem Know-How» zu schliessen.

Lustenberger gibt an, dass er viele Parlamentsmitglieder persönlich kennt. Die Zusammenarbeit gestalte sich dann zum Beispiel so, dass die Parlamentarier während der Session ihn angehen würden und nach Auskunft zu spezifischen Themen fragen. Umgekehrt versucht Lustenberger, auch die Caritas-Themen aufs politische Tableau zu bringen.

Demokratie als Wettbewerb von Interessen

Summa summarum gehört genau dieser Teil zum schweizerischen Verständnis einer auf Kompromiss basierenden Demokratie. Die breite Mitwirkung aller Interessensgruppen gehört quasi zur Sorgfaltspflicht; sei dies politisch, gesellschaftlich oder wirtschaftlich. Vom ersten Entwurf bis zu einer allfälligen Volksabstimmung werden in der Schweiz Verbände, NGOs und weitere Organisationen in die Prozesse mit einbezogen. Wird dies umgangen, wollen beispielsweise Parlamentarierinnen und Parlamentarier ein Gesetz ohne Konsultation von weiteren wichtigen Gruppen durchbringen, droht das Referendum. Und dieses wollen die Beteiligten, wenn möglich, verhindern.

«Demokratie ist nichts anderes als der Wettbewerb von Interessen», meint Felix Schneuwly. Er ist unter anderem Head of Public Affairs von «Comparis» und Zutrittsberechtigter im Bundeshaus. Er vertritt in Bern die Interessen von Konsumenten. «Damit diese beispielsweise nicht unter allzu viel schlechter Regulierung und Bürokratie leiden müssen. Denn die Bürokratie bezahlen die Konsumenten gleich doppelt, sie führt zu höheren Preisen und Steuern», ergänzt er. Für Schneuwly ist klar: «Wer sagt, Interessenvertreter hätten in der Politik nichts zu suchen, versteht nicht, wie Politik in einer Demokratie funktioniert.»

Ein Lobbyist muss kompromissbereit sein

Angesprochen auf den nicht durch eine Wahl erhaltenen Zugang zum Bundeshaus, erklärt er: «Für mich gibt es nicht nur die demokratische Legitimation der Gewählten, sondern auch die von weiteren Akteuren der Gesellschaft.» Wichtig sei, dass die Prozesse und die Interessen auch von Lobbyisten transparent und klar publik gemacht würden. «Ein transparenter Prozess auf Fakten basierend stellt schlussendlich die bestmöglichen Voraussetzungen für politische Entscheide dar.»

Für erfolgreiche Interessenvertretung gibt Schneuwly einen simplen Leitsatz an: je früher, desto erfolgreicher. «Das klassische Bild eines Lobbyisten, der im letzten Moment vor der Abstimmung ein Parlamentarier beeinflussen will, ist falsch.» Politische Ideen und Gesetze würden in einem langen Prozess entstehen.

Und dafür brauche man ein gutes, stabiles Netzwerk. «Das ist mitunter auch eine der grössten Herausforderung des Lobbyings: Ein sogenanntes <Standing> aufzubauen, bei dem die Parlamentarierinnen und Parlamentarier bei gewissen Sachfragen dann automatisch zu mir kommen und nach meiner Expertise fragen», sagt er. Schneuwly bezeichnet seine Arbeit als sehr spannend und vielfältig. Als beste Voraussetzungen für Lobbying erläutert er: «Man muss Interesse an Menschen und ihren Meinungen haben, Opportunitäten erkennen und offen für Kompromisse sein.»

veröffentlicht: 27. März 2023 06:37
aktualisiert: 27. März 2023 06:37
Quelle: PilatusToday

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redaktion@pilatustoday.ch