Rahmenabkommen

Medien: Lob für «kalte Schulter» - Kritik wegen Zerstrittenheit

· Online seit 27.05.2021, 07:43 Uhr
Die Medien beurteilen den Entscheid des Bundesrats zum Rahmenabkommen mit der EU unterschiedlich. Während die einen den Bundesrat dafür loben, den «Druckversuchen» der EU eine Abfuhr erteilt zu haben, sind andere kritischer und suchen die Gründe für das Scheitern der Verhandlungen in der Zerstrittenheit des Bundesrates.
Anzeige

Als «klare Antwort auf die Druckversuche aus Brüssel» wertet die Onlineplattform des Schweizer Radio und Fernsehens SRF den Positionsbezug des Bundesrates. Die EU sei sich nicht zu schade gewesen, «auch Dossiers mit dem Rahmenabkommen zu verknüpfen, die überhaupt nichts damit zu tun haben». Der Bundesrat habe mit seinem Entscheid unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass die Schweiz ein solches Vorgehen nicht toleriere.

Ins gleiche Horn bläst die «Berner Zeitung». Die Schweiz brauche keinen «Vertrag der Angst» mit der EU. Ein Abkommen, "das den EU-Bürgern einen teuren Zugang in unsere Sozialhilfe gewährt und die Schweiz praktisch in die EU integriert, «darf unser Land nicht abschliessen». Der Bundesrat habe die latente Angst im Land vor dem Verlust der Souveränität ernst genommen.

Auch der «Blick» begrüsst es, dass die Regierung Brüssel «die kalte Schulter zeigt»: Die Regierung habe «Verheissungen» widerstanden, lukrative Abkommen mit der EU abzuschliessen. Die Regierung habe die Kröte nicht schlucken wollen, das Scheitern der Verhandlungen mit dem Abbruch klar gemacht und übernehme jetzt dafür Verantwortung.

Die «notorisch zerstrittene Regierung»

Von anderen Kommentatoren wird der Entscheid kritischer betrachtet. Er sei riskant, findet etwa die «Aargauer Zeitung», weil die Schweiz nun auf «Gedeih und Verderb vom Wohlwollen der EU» abhängig sei. Das Schicksal der Schweiz werde nun in Brüssel verhandelt.

In den Kommentaren wird auch die «Zerstrittenheit der Mitglieder des Bundesrats» als Problem ins Feld geführt. Die "Aargauer Zeitung ist etwa der Meinung, dass «eine so zentrale Frage in einer direkten Demokratie nicht abschliessend von einer notorisch zerstrittenen Regierung gefällt werden sollte.» Und aus Sicht der «Neuen Zürcher Zeitung» war der Entscheid des Bundesrats davon geleitet, dass dieser «keine gemeinsame Vorstellung» davon habe, wie sich das Verhältnis der Schweiz zur EU künftig weiterentwickeln solle.

Ähnlich sehen es die Westschweizer Zeitungen «24 Heures» und «Tribune de Genève». Wirklich schockierend sei nicht so sehr das Scheitern, sondern die Unfähigkeit des Bundesrates, der Parteien und der Kantone, sich zu profilieren und zu definieren, welches Verhältnis zur Europäischen Union sie wollen und zu welchen Zugeständnissen sie bereit seien. Lediglich die Grünen und die SVP hätten sich durchsetzen und ihre Linie halten können.

Auch für die «Luzerner Zeitung» wirkte der Bundesrat bei Bekanntgabe seines Entscheids «planlos». Man müsse der Regierung aber zugutehalten, dass er nun einen Schlussstrich gezogen und Klarheit geschaffen habe. «Das hat auch etwas Befreiendes.» Es bleibe aber nicht mehr viel mehr, als zu hoffen, dass die Abkommen mit der EU doch noch aktualisiert würden und Kooperationen möglich blieben. «Prinzip Hoffnung statt geregelter Beziehungen? Die Schweiz muss dringend über ihr Souveränitätsverständnis nachdenken.»

Die grosse Frage nach dem «Wie-Weiter»

Die grosse Frage ist daher aus Sicht der Kommentatoren, wie es weiter geht. Es sei fraglich, ob beim Bundesrat genügend Einsicht und Wille vorhanden seien, um die sich «abzeichnenden Nachteile mit einem eigenen Fitnessprogramm» wettmachen zu können, schreibt die «Neue Zürcher Zeitung». Dabei wird der Druck aus Sicht des «Tages-Anzeigers» in den nächsten Wochen mit unangenehmen Massnahmen seitens der EU noch zunehmen. Der Bundesrat müsse daher einen Plan B präsentieren, der aufzeige, wo die Schweiz bereit sei, der EU entgegenzukommen. Dieses Entgegenkommen müsse grosszügig sein.

Aus Sicht der «Berner Zeitung» sei der Abbruch grundsätzlich «eine Chance, kein Drama». Nun bestehe nämlich die Chance, das Verhältnis zur EU zu entkrampfen. Zuerst brauche es aber eine innenpolitische Klärung: «Die teils tief gespaltenen Parteien und die Wirtschaft müssen nun sagen, was sie wollen und wo sie kompromissbereit seien.»

«Schweiz sägt an der Brücke nach Europa»

Auch im Ausland sorgte der Entscheid für Widerhall. In den deutschen Medien herrscht die Meinung vor, dass die Schweiz mit dem Ende der Verhandlungen das enge Verhältnis zur EU einer Belastungsprobe aussetze. «Die Schweiz sägt an der Brücke nach Europa», schreibt etwa die «Frankfurter Allgemeine Zeitung».

Es sei aber das Recht der Schweiz als «autonomer Staat, der explizit kein EU-Mitglied und auch kein Teil des Europäischen Wirtschaftsraums sein will», die Verhandlungen abzubrechen, schreibt die «Süddeutsche Zeitung». Die Schweiz müsse jetzt aber auch bereit sein, die Konsequenzen zu tragen. «Wer beim Projekt EU und ihrem Binnenmarkt mitmachen will, muss ein Stück Autonomie aufgeben und die Spielregeln akzeptieren.»

Mit dem Verhandlungsabbruch sei nun klar, dass Bern und Brüssel einen gänzlich neuen Anlauf nehmen müssen, um ihr Verhältnis zu regeln. Aus Sicht der britischen «Financial Times» dürfte diese Entscheidung daher auch in Grossbritannien auf grosses Interesse stossen, da das Land versuche, seine eigenen Beziehungen mit der EU neu zu kalibrieren.

(SDA\ /jc)

veröffentlicht: 27. Mai 2021 07:43
aktualisiert: 27. Mai 2021 07:43
Quelle: sda

Anzeige
Anzeige
redaktion@pilatustoday.ch