Pflegeinitiative

«Mit über 60 Prozent Ja-Stimmen ist die Politik unter Druck»

28.11.2021, 18:26 Uhr
· Online seit 28.11.2021, 17:05 Uhr
Beim Applaus darf es nicht bleiben: Mit einem neuen Verfassungsartikel wollen die Stimmenden in der Schweiz die Politik dazu zwingen, die Situation in der Pflege zu verbessern. Mit klarem Mehr sagten sie Ja zur Pflegeinitiative.

Quelle: Tele 1

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Es ist eines der besten Resultate überhaupt für eine Volksinitiative. Rund 2'161'100 Stimmende legten gemäss Endresultat der Kantone ein Ja ein, rund 1'383'000 ein Nein. Der Ja-Anteil lag bei rund 61 Prozent. Schon in Umfragen hatte eine deutliche Mehrheit die Initiative unterstützt. Die Stimmbeteiligung lag bei knapp 65 Prozent.

In städtischen Gebieten war die Zustimmung deutlicher als auf dem Land, in der Westschweiz im Mittel höher als im Rest des Landes. Unterdurchschnittliche Ja-Anteile gab es namentlich in der Zentralschweiz, in Teilen der Ostschweiz sowie im Tessin. Nein sagte mit rund 53 Prozent einzig Appenzell Innerrhoden.

Anliegen unbestritten

Dass bei der Pflege Handlungsbedarf besteht, war Befürwortern und auch Gegnern der Initiative klar. Schon vor der Pandemie fehlte es laut dem Initiativkomitee an gut ausgebildetem diplomiertem Pflegepersonal. Zu viele stiegen frühzeitig aus dem Beruf aus, monierte es.

«Mit über 60 Prozent Ja-Stimmen aus der Bevölkerung ist die Politik nun etwas unter Druck», sagt der ehemalige Radio- und Fernsehmoderator und heutige Pflegefachmann Patrick Hässig. Mit der Annahme der Initiative sei das Ziel noch nicht erreicht. «Die eigentliche Arbeit beginnt erst jetzt.»

Quelle: CH Media Video Unit

Die Gegner der Initiative sind nicht überrascht vom Resultat. «Es ist schade, dass der Gegenvorschlag vom Tisch ist», sagt FDP-Nationalrätin Regine Sauter. Durch die Annahme der Initiative verliere man wertvolle Zeit. Man müsse mit dem Gesetzgebungsprozess wieder von vorne beginnen. «Es sei illusorisch zu meinen, dass dies bereits in der übernächsten Session stattfinden könne.» Da nicht der Bund, sondern die Kantone die Spitäler betreiben, müsse man diese mit ins Boot holen. «Das braucht seine Zeit», so Sauter.

Quelle: CH Media Video Unit

Situation in Pandemie verschärft

Mit der Pandemie verschärfte sich die Situation im Pflegeberuf laut dem Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner (SBK) dann noch. Aktuell seien über 11'000 Pflegestellen in der Schweiz unbesetzt, davon 6200 von Pflegefachpersonen. Die Pflegenden seien chronisch überlastet, erschöpft und frustriert.

Der nun angenommene neue Verfassungsartikel verlangt, dass Bund und Kantone für eine ausreichende Pflege von hoher Qualität für alle sorgen müssen. Ebenso sollen sie sicherstellen, dass entsprechend dem steigenden Bedarf genügend diplomierte Pflegefachleute zur Verfügung stehen.

Weiter muss der Bund Bestimmungen erlassen zu den Arbeitsbedingungen in Spitälern, Heimen und Spitex-Organisationen. Zu Gunsten besserer Arbeitsbedingungen muss er zudem dafür sorgen, dass Pflegeleistungen angemessen abgegolten werden. Verlangt werden zudem Bestimmungen zu Möglichkeiten der beruflichen Entwicklung von Pflegenden.

Schliesslich sollen Pflegefachleute gewisse Leistungen selbst und direkt mit der obligatorischen Krankenpflegeversicherung oder anderen Sozialversicherungen abrechnen dürfen. Welche das sind, muss im Gesetz geregelt werden. Heute können sie grundsätzlich nur Leistungen abrechnen, die von ärztlicher Seite angeordnet sind.

Die Gesetzesartikel für die Umsetzung der Initiative muss das Parlament in den nächsten vier Jahren erlassen, also bis Ende November 2025. Doch schon vorher, nämlich innerhalb der nächsten eineinhalb Jahre, muss der Bundesrat etwas unternehmen gegen den Mangel an Pflegefachkräften.

Ausbildungsoffensive ist Makulatur

Bundesrat und Parlament hätten den Pflegeberuf zwar ebenfalls stärken wollen. Im Zentrum ihres indirekten Gegenvorschlages, der nach dem Ja Makulatur ist, stand eine Ausbildungsoffensive. Er wäre in den Augen der Initiativgegner der schnellere Weg zur Lösung gewesen als die Initiative.

Bund und Kantone hätten in den nächsten acht Jahren rund eine Milliarde Franken in die Ausbildung von Pflegenden investiert. Sowohl Studierende als auch Spitäler, Heime und Spitex-Organisationen, die Pflegende ausbilden, wären unterstützt worden. Auch Fachhochschulen und höhere Fachschulen hätten Geld erhalten sollen, wenn sie die Zahl der Ausbildungsplätze erhöhen.

Den Initiantinnen und Initianten genügte der Gegenvorschlag nicht. Er enthalte keine Massnahmen, um mehr Pflegende im Beruf zu halten, monierte das Initiativkomitee. Auch Massnahmen für eine bessere Qualität der Pflege bringe der Gegenvorschlag nicht.

Von den Initianten teilweise übernommen wurde im Gegenvorschlag das Anliegen, dass Pflegefachleute gewisse Leistungen selbst abrechnen können sollten. Ein Kontrollmechanismus hätte aber verhindern sollen, dass mehr Leistungen abgerechnet werden als heute und damit Gesundheitskosten und Krankenkassenprämien steigen.

(sda / red.)

veröffentlicht: 28. November 2021 17:05
aktualisiert: 28. November 2021 18:26
Quelle: PilatusToday/sda

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