Alkohol, Benzos & Medis

«Prävention funktioniert immer noch stark mit dem Mahnfinger»

· Online seit 02.11.2022, 17:04 Uhr
Idealisierende Songtexte aus der Musikszene oder die Dynamik in Gruppen – für den Mix von Substanzen gibt es verschiedene Gründe. Sabin Bührer von der Suchtfachstelle Zürich erklärt, wie gefährlich der Trend ist und woran es der Prävention fehlt.
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Der Konsum legaler und illegaler Substanzen ist weit verbreitet. Auch das Mischen verschiedener solcher Substanzen nimmt immer mehr zu. Insbesondere bei Jugendlichen liegt der sogenannte Mischkonsum im Trend. Ein gefährlicher Trend. Seit 2018 haben bereits mindestens 33 Jugendliche durch dieses Mischen von Substanzen den Tod gefunden.

Was sind jetzt genau Benzos?

Mit Benzos sind Benzodiazepine gemeint. Darunter versteht man Schlaf- und Beruhigungsmittel. Oftmals gemischt werden aber auch Opioide, also starke Schmerzmittel oder Medikamente zur Behandlung von starkem Husten und Hyperaktivität. Zu den bekanntesten Substanzen gehören: Tilidin, Valium, Ritalin, Xanax, Makatussin, Rivotril, Bexin und Hustensäfte, die Codein beinhalten.

Diese Substanzen können gefährlich sein, wenn sie eingenommen werden um «high» zu sein. Umso kritischer wird es, wenn die Substanzen mit Alkohol oder anderen Drogen gemischt werden. Eine Mischung kann im schlimmsten Fall auch zum Tod führen.

Suchtfachstelle Zürich klärt auf

Sabin Bührer ist Leiterin der Kommunikation und Präventionsverantwortliche bei der Suchtfachstelle Zürich.

Was sind Substanzen, die häufig miteinander kombiniert werden?

Das ist schwierig zu sagen, weil die unterschiedlichsten Substanzen miteinander kombiniert werden. Man kann aber sagen, dass in den meisten Fällen Alkohol involviert ist.

Kann es sein, dass man den Mischkonsum gar nicht beabsichtigt, sondern durch den Alkohol zustande kommt?

Das hat sicher einen Einfluss. Man ist risikofreudiger und vielleicht auch beeinflussbarer von den Umständen. Für den vorsätzlichen Mischkonsum gibt es aber verschiedene Motive. Entweder will man die Wirkung verstärken, oder gerade das umgekehrte.

Können Sie das anhand von Beispielen erklären?

Der Klassiker, was man auch aus den Medien kennt, ist der wirkungsverstärkende Mischkonsum. Was da sehr populär ist, ist die Kombination von Xanax (ein Benzo) und Alkohol. Dabei nimmt die Entspannung und die Euphorie zu und man hat das Gefühl, ohne negative Gedanken «chillen» zu können. Ein wie in Watte gepackter, weicher Rausch. Bei Alkohol und Opiaten ist die Euphorie das, was sich die Konsumierenden zum Ziel setzen. Bei den Opiaten ist vor allem Codein (auch im Hustensaft enthalten) verbreitet.

Der zweite Grund ist, dass man die Wirkung einer der beiden Komponenten abschwächen möchte. Da wäre wieder Xanax und allgemein Benzodiazepine, die dann aber mit eher aufputschenden Mitteln wie Kokain, Amphetamin oder LSD kombiniert werden und deren antreibende Wirkung aufheben sollen, um wieder herunterkommen zu können. Oder aber es wird versucht, die negativen Emotionen wie Angst, Paranoia und teils sogar Panik damit abzuschwächen.

Wo wird es effektiv gefährlich und sogar tödlich?

Eine Gefahr besteht darin, dass zum Teil grössere Mengen konsumiert werden, da unerwünschte Wirkungen abgeschwächt werden. So konsumiert man von beiden oder vom einen viel mehr und das kann dann zur Intoxikation führen. Oder die unerwünschten Wirkungen potenzieren sich. Bei der Kombi aus Alkohol und Benzodiazepine oder Opiaten beispielsweise kann die Sedation und Schläfrigkeit bis zur Bewusstlosigkeit zunehmen. Das kann zur Atemdepression bis hin zum Atemstillstand führen. Es kommt aber auch zu Übelkeit und Erbrechen. Durch den fehlenden Schutzreflex besteht Erstickungsgefahr.

Alkohol, Kokain und Ecstasy sind schon länger eine bekannte Kombi. Wieso trendet im Moment diese Benzo-Kombination?

In der Schweiz fehlen bis heute entsprechende Untersuchungen zu Motiven, Problemlagen und frühen Risikofaktoren von Mischkonsum bei jungen Erwachsenen. Die Musikszene (bsp. Hip Hop), wo diese Substanzen idealisiert werden, hat bei Jugendlichen einen gewissen Einfluss auf deren Konsum. Die Dynamik von Gruppen, die beispielsweise durch Mutproben einen gewissen Druck ausüben, hat sicherlich auch einen Einfluss.

Was bewegt Jugendliche, sich an die Suchtfachstelle zu wenden?

Das ist extrem unterschiedlich. Oft kommen sie tatsächlich, weil das Umfeld findet: «Jetzt ist es nicht mehr normal, was du machst. Jetzt musst du dir Hilfe holen.» Oft ist es der Freundeskreis, der interveniert und das ist super. Das nützt mehr als wenn die Erwachsenen finden, «das ist nicht gut».

Erkennen die Konsumierenden, dass sie ein Problem haben?

Das Problem ist dies: Da sie teils unterschiedliche Substanzen konsumieren, wird eine Abhängigkeit lange nicht bemerkt. Man nimmt ja immer etwas anderes und von allem nicht so viel. So kann man sich natürlich lange einreden, dass man nicht abhängig von einer Substanz ist.

Aber man nimmt einfach eine andere?

Ganz genau. Und diese Substanz-Rotation führt zur Kaschierung der Abhängigkeit.

Woran fehlt es noch bei der Prävention?

Zum Teil am fehlenden Wissen und Aufklärung und zum anderen vielleicht auch an der Art und Weise. Prävention funktioniert immer noch sehr stark mit dem Mahnfinger. Darauf reagieren Jugendliche aber eher mit Trotz. Was sicher schon in die richtige Richtung geht, ist der Ansatz: «Wenn du konsumierst, dann achte auf diese Punkte» statt alles nur zu verteufeln.

Wo fängt es an, kritisch zu werden? 

Die Menge allein spielt da weniger eine Rolle. Mehr, was die Umstände sind. Fange ich an, allein zu konsumieren? Das ist insbesondere bei Mischkonsum keine gute Idee. Oder wenn man anfängt, den Konsum vor den Freunden zu verstecken, der Alltag unter dem Konsum leidet, andere Interessen vernachlässigt werden oder die Kontrolle über den Konsum verloren geht. Wenn man konsumiert, um Stress loszuwerden oder den Alltag zu vergessen, ist das Risiko der Abhängigkeit grösser, als wenn an einer Party konsumiert wird, um noch ausgelassener zu feiern.

Was raten Sie, wenn man solche Verhaltensweisen im eigenen Umfeld bemerkt?

Einfach ansprechen. Sagen, dass man sich Sorgen macht, dass sich etwas geändert hat oder dass sich sogar ein Wesenszug verändert hat. Und nicht schimpfen oder Hausarrest verteilen, sondern bewusst machen, dass man sich sorgt.

Was würde sich die Suchtfachstelle von der Gesellschaft wünschen?

Dass das Stigma nicht mehr so allgegenwärtig wäre. Dass man von dem Gedanken wegkommt, dass es eine bestimmte Personengruppe sei, die prädestiniert ist für solche Geschichten.

Auf der Seite Combi Checker kann man selber rausfinden, ob sich das, was man vorhat einzunehmen, überhaupt miteinander verträgt. Der Konsum-Generator liefert einem auch gleich Informationen, mit welchen Nebenwirkungen und Folgen man zu rechnet hat.

veröffentlicht: 2. November 2022 17:04
aktualisiert: 2. November 2022 17:04
Quelle: Today-Zentralredaktion

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