Tag gegen Homophobie

Schweiz hinkt bei Gleichstellungs-Rechten hinterher

17.05.2020, 11:10 Uhr
· Online seit 17.05.2020, 10:58 Uhr
Der heutige 17. Mai ist der Internationale Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie. Er erinnert an den Tag, als die Weltgesundheitsorganisation Homosexualität im Jahr 1990 von der Liste psychischer Krankheiten gestrichen hat.
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Seit genau 30 Jahren gilt Homosexualität nicht mehr als psychische Krankheit. Seither hat sich vieles geändet. Doch nicht überall sind die Fortschritte zur Gleichstellung aller Menschen, unabhängig ihrer sexuellen Orientierung, gleich gross. Die neue "Rainbow Map" von ILGA Europe zeigt, dass die Schweiz in Bezug auf Rechte und Gleichberechtigung von LGBTI-Personen noch immer im Rückstand ist.

Schweiz lediglich auf dem 23. Platz

Im europäischen Vergleich belegt die Schweiz demnach Platz 23. Damit ist sie vor Italien auf dem zweitletzten Platz der westeuropäischen Ländern. Verantwortlich für das schlechte Abschneiden der Schweiz ist die Tatsache, dass nur rund ein Drittel der empfohlenen Massnahmen zur vollen Gleichstellung und Achtung der Menschenrechte im Gesetz verankert sind.

Michael De Silva wohnt in Luzern und ist im Vorstand der Schweizerischen Schwulenorganisation Pink Cross. Anlässlich des Internationalen Tages gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie haben wir mit ihm ein Interview geführt.

Wenn es um die rechtlichte Gleichstellung aller Menschen geht, belegt die Schweiz im europäischen Vergleich Platz 23 von 49. Damit ist sie hinter Griechenland, Kroatien und Bosnien. Was sagen sie zu dieser Platzierung?

Leider ist die Platzierung gerechtfertigt. Zwar sind wir vom Platz 27 auf den Platz 23 nach vorne gerutscht, was uns auch erfreut. Trotzdem sind wir nach wie vor das zweitletzte westeuropäische Land. Das ist bedauerlich und schade. Deswegen hoffen wir auf eine Verbesserung in den nächsten Jahren.

Im Vorjahr war die Schweiz sogar vier Plätze weiter hinten, was hat sich in dieser Zeit verändert?

Wir hatten letzten Februar die Abstimmung über die Antirassismus-Strafnorm, die mit einem sehr grossen Ja angenommen wurde. Das freut uns natürlich sehr und hat uns ein paar Plätze nach vorne gerückt. Trotzdem sind noch immer gewisse Sachen offen, weshalb die Schweiz noch immer so weit hinten beim Ranking ist. Aber es geht Schritt für Schritt vorwärts.

Warum ist die Schweiz trotzdem noch so weit hinten platziert?

Ein prominentes Beispiel wäre die «Ehe für alle», die wir in der Schweiz noch immer nicht haben und deshalb auch keinen Schutz für Regenbogenfamilien und deren Kind. Aber auch der Schutz vor Diskriminierung am Arbeitsplatz oder auch die Massnahmen zur Prävention vor LGBTI-Angriffen. Leider haben wir ein noch grösseres Problem mit Transsexualität und intersexuellen Menschen, weil sie im Gesetz viel zu wenig präsent sind. Dort gibt es auch sehr viel Nachholbedarf in der Schweiz.

Wie kam es zu diesem Rückstand im Vergleich mit anderen Ländern?

In erster Linie liegt es daran, dass sich die Schweiz gesellschaftspolitisch eher langsam vorwärts bewegt. Schuld daran ist unser politisches System, das aber nicht nur negative, sondern auch positive Aspekte hat. Aber bei gesellschaftspolitischen Themen ist es eher langsam unterwegs. Zudem hatten wir bis vor kurzem ein sehr konservatives Parlament. Glücklicherweise hat sich das jetzt geändert. Man spürt auch, dass gewisse Sachen jetzt viel schneller vorangehen.

Was würde die Ist-Situation aus Sicht der LGBTI-Community besser machen?

Selbstverständlich die «Ehe für alle», die wir seit Jahren fordern und ein grosses Thema ist. Die «Ehe für alle» wird im Juni im Parlament thematisiert. Dadurch hoffen wir natürlich auf einen positiven Bescheid. Ausserdem erhoffen wir eine Erweiterung der Rassismus-Strafnorm, um die transsexuellen und intergeschlechtlichen Menschen auch schützen zu können.

Du bist selber ein schwuler Mann. Wie lebt man als LGBTI-Person in der Schweiz?

Klar ist der Schutz seit Februar per Gesetz vergrössert worden, aber das ist wohl bei den Menschen noch nicht angekommen. Nach wie vor leiden wir sehr stark unter der Diskriminierung. Leider gewöhnt man sich teilweise daran und merkt es fast nicht mehr, wenn man diskriminiert wird, oftmals als verbale Abwertungen. Da gibt es sehr viel Aufholbedarf und dass man auch präventiv dagegen vorgehen kann.

Mit was für Situationen muss man als LGBTI-Person in der Öffentlichkeit klarkommen?

Natürlich gibt es auch schöne Momente, wie wenn man von den Menschen ganz normal akzeptiert wird. Doch leider ist das häufig nicht der Fall – im Gegenteil. Gerade im Ausgang: Man spürt, dass Anfeindungen vorhanden sind und einem Schimpfwörter an den Kopf geworfen werden. Man hört auch im eigenen Umfeld von diesen Anfeindungen, dass beispielsweise anderen Messer in Beine gerammt wurden. Aufgrund des Lockdowns ist es schwierig im Ausgang angefeindet zu werden, doch sobald sich alles wieder normalisiert, werden die Zahlen von solchen Vorfällen schnell wieder in die Höhe gehen.

Hast du ein persönliches Erlebnis, von welchem du erzählen würdest?

Erst vor ein paar Monaten, als ich mit einem guten Kolleg und meiner Schwester in Zürich über eine Brücke nach Niederdorf ging, um in den Ausgang zu gehen. Auf einmal kam jemand von hinten und fing uns an, heftig zu beleidigen. Ich und mein Kolleg gingen dann einfach weiter und meine Schwester blieb völlig verstört stehen, weil sie die Situation nicht fassen konnte. Das hat auch mir gezeigt, dass wir uns völlig daran gewöhnt haben. Das ist auch ein Zeichen, dass die Gesellschafft die LGBTI-Community zu wenig respektiert.

Wie sicher fühlst du dich in der Schweiz?

Es kommt auf die Tageszeit an. Am Tag fühle ich mich mehrheitlich sehr sicher in der Schweiz. Es ist der Abend und die Nacht, wo ich mich unsicher fühle auf der Strasse. Das können sicher auch viele Frauen bestätigen, wenn eine Gruppe junger Männer in der Nähe ist, dass man die Strassenseite wechselt.

Es wäre schön, wenn man sich zu jeder Tageszeit frei bewegen kann, ohne Angst zu haben. Leider ist das Gegenteil der Fall, man muss immer damit rechnen, dass auch Schlimmes passieren kann. Man muss immer die Augen offen haben.

veröffentlicht: 17. Mai 2020 10:58
aktualisiert: 17. Mai 2020 11:10
Quelle: PilatusToday

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