Ukraine-Konflikt

«Strommangel ist wahrscheinlicher als Atom-Angriff»

03.03.2022, 14:13 Uhr
· Online seit 03.03.2022, 12:48 Uhr
Mit dem Ausbruch eines neuen Krieges in Europa wächst bei vielen Leuten in der Bevölkerung eine Verunsicherung. Realistischer als eine Bedrohung durch Atomwaffen sieht ein Experte hingegen ein anderes Szenario.
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Und plötzlich ist wieder Krieg in Europa. Für viele Menschen ist es der erste Krieg, den sie quasi live miterleben, die Unsicherheiten dementsprechend gross. Russland verfügt über Atomwaffen: Was, wenn Putin auf den roten Knopf drückt? Droht uns ein atomares Desaster?

Benno Bühlmann arbeitet beim Zentrum für Sicherheitspolitik in Genf und leitet dort den Kompetenzbereich Katastrophenmanagement und Bevölkerungsschutz. Krise kann er. Schon vor 20 Jahren, als es im Gotthard-Tunnel aufgrund eines Unfalls lichterloh brannte und elf Menschen ihr Leben lassen mussten, bewies er einen kühlen Kopf. Damals war er Leiter der Chemiewehr und half gemeinsam mit anderen Einsatzkräften, die Flammen zu bändigen. Heute beobachtet er für das Zentrum für Sicherheitspolitik in Genf genaustens, in welchen Ländern es wie stark brodelt und wie die Schweiz auf verschiedene Gefahrensituationen vorbereitet ist.

Ohne Strom liegt die Infrastruktur brach

Jenen Leuten, die durch das aktuelle Kriegsgeschehen in der Ukraine verunsichert sind, sagt er: «Die Wahrscheinlichkeit, dass in diesem Krieg Atomwaffen zum Einsatz kommen, ist sehr sehr gering.» Doch wenn man so starke Waffen hat wie Russland, warum diese nicht brauchen? «Putin will die Ukraine nach Hause holen und auch mit dem Westen nicht endgültig brechen. Wie will man das Brudervolk zurückgewinnen, wenn man es kaputt macht?» Ausserdem sei es wohl auch für Putin überraschend gewesen, wie geschlossen Europa zusammen und hinter der Ukraine steht. Er wisse auch, dass nicht nur Russland, sondern auch andere Länder Atomwaffen haben.

«Natürlich besteht ein Restrisiko, aber die grössere Gefahr ist eine länger andauernde Stromknappheit.» Denn: Schon heute besteht die Gefahr von grösseren Stromausfällen. Der Krieg in der Ukraine verschärft dies allerdings, weil die Stromproduktion teilweise mit der Gasversorgung gekoppelt ist. Und ohne Strom gibt es kein Licht, Telefone funktionieren nicht, die Kommunikation und die Informatik fallen aus. Auch die Lebensmittelversorgung, die Versorgung mit Treibstoffen oder das Finanzwesen sind beeinträchtigt. Und die Schweiz stehe heute bei einem Stromengpass nicht sehr gut da, sagt Bühlmann.

Dass der Krieg bereits jetzt auch wirtschaftliche Auswirkungen auf die Schweiz hat, zeigte sich bei der Massenentlassung von Nord Stream in Zug. Das ist wohl erst der Anfang, wie aus dem Tele 1-Beitrag hervorgeht.

Quelle: Tele 1

Von Notvorräten und Treffpunkten

Während man bei einer Atom-Katastrophe mehr oder weniger aufgeschmissen ist, kann man sich auf den Strom-Engpass – jedenfalls temporär – vorbereiten. «Sich einen Notvorrat anzulegen, schadet nie. Bei Unsicherheiten kann man sich überlegen: Wie wäre ich aufgestellt bei einem Blackout oder wenn die Wirtschaftsketten unterbrochen sind?», sagt Bühlmann. Auch ein Notfallplan könne Sicherheit geben. «Das Handynetz funktioniert nicht mehr, was mache ich dann? Es geht nicht darum, Panik zu machen, sondern sich einfach in Ruhe und vernünftig vorbereiten.»

Konkret könnte das heissen: Sich ein Batterieradio zu besorgen und eine Taschenlampe mit Batterien, damit man wenigstens Licht hat. Ausserdem gebe es in vielen Gemeinden Notfalltreffpunkte, diese könne man sich notieren. «Wahrscheinlich lohnt es sich auch, mal mit den Liebsten zu besprechen, wo man sich bei einem Notfall trifft.»

Auch eine Flüchtlingswelle droht

Eine weitere Konsequenz des Krieges, die die Schweiz später spüren dürfte, ist eine Flüchtlingswelle. 44 Millionen Einwohner zählt die Ukraine, flächenmässig ist es das grösste Land Europas. «Hier gilt es, die Flüchtlinge solidarisch aufzunehmen und in Europa zu verteilen, auch in der Schweiz. Umgekehrt wären wir auch froh, wenn uns geholfen würde.»

veröffentlicht: 3. März 2022 12:48
aktualisiert: 3. März 2022 14:13
Quelle: PilatusToday

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