Wunschkuh

Vom perfekten Stier zum perfekten Samen

· Online seit 27.03.2022, 10:39 Uhr
Die meisten Kühe in der Schweiz werden künstlich und nicht auf natürlichem Weg gezeugt. Der grösste nationale Produzent und Vermarkter von Rindersamen ist Swissgenetics in Zollikofen. Im Interview spricht Hansjörg Bigler, Leiter Genetik, darüber, wie Stiere ausgewählt, Samen gewonnen und inwiefern sie genetisch verändert werden.
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In der Schweiz werden rund ein Siebtel der Kälber auf natürlichem Weg gezeugt. Die restliche Besamung findet künstlich statt. Wie Bauern ihre Wunschkuh auswählen, erzählt der Luzerner Bauer Ruedi Stofer hier. Die meisten Samendosen, die für die künstliche Besamung in der Schweiz gebraucht werden, stammen von der Firma Swissgenetics.

Hansjörg Bigler, Sie leiten die Abteilung Genetik. Das klingt sehr futuristisch – werden in dieser Abteilung Samen genetisch verändert?

Mit unseren Zuchttechniken werden keine Genmanipulationen vorgenommen, wir verändern also kein Erbgut. Die Zucht basiert in der Schweiz und in Europa nach wie vor auf der natürlichen Auslese der besten Tiere und der anschliessenden geschickten Kombination von weiblichen und männlichen Tieren. Wir haben sogenannte Sire Analysten, die mit den Schweizer Züchtern in Kontakt stehen und durch die wir an genetisch interessante potenzielle Stierenmütter kommen.

Die Fortpflanzung wurde zur Wissenschaft. Wie ist es überhaupt dazu gekommen, dass die künstliche Besamung immer beliebter wurde?

Swissgenetics wurde vor über 60 Jahren als schweizerischer Verband für künstliche Besamung (SVKB) gegründet. Damals fasste die neue Reproduktionstechnik in der Schweiz langsam Fuss. Sie war eine Lösung für ein Problem, das damals weit verbreitet war: Sogenannte Deckseuchen konnten vermieden werden. Damals gab es im Dorf ein bis zwei Stiere, die alle Kühe besamten. Da kann man sich vorstellen, dass, wenn eine Kuh den Stier mit einer Geschlechtskrankheit ansteckte, diese innert kurzer Zeit im gesamten Gebiet verbreitet wurde. Ausserdem ist ein Stier auf dem Hof immer auch ein Gefahrenpotential. Mittlerweile können wir mit einem einzelnen Ejakulat eines Stieres mehrere hundert kleine Portionen abfüllen, in flüssigem Stickstoff einfrieren und diese auch exportieren. Dadurch braucht es nur noch wenig Stiere – weniger, aber gute Stiere.

Sie haben bereits vorhin erwähnt, dass die Stiere, die für die Samenproduktion in Frage kommen, ausgewählt werden. Wie muss man sich das vorstellen?

Wie bereits erwähnt, haben wir Sire Analysten, die sich über potenzielle Stiermütter erkundigen. Diese erfüllen höchste Anforderungen an Leistung und Abstammung. Pro Jahr werden dann rund 1000 Stierkälber genomisch untersucht und auf zehn Kälber wird ungefähr ein Kalb gekauft. Rund 150 Stierkälber werden dann in Langnau eingestallt und aufgezogen. Im Alter von zehn bis zwölf Monaten werden die Jungstiere beurteilt und, falls alles in Ordnung ist, ins Herdebuch aufgenommen. 120 Jungtiere werden danach nach Mülligen für die Samenproduktion gebracht. Wenn die strengen Anforderungen an die Samenqualität erfüllt sind, werden Samenlager mit zwischen 8’000 und 12’000 Dosen angelegt. Wenn sich die Stiere gut verkaufen, bleiben sie weiterhin in der Produktionsstation in Mülligen, ansonsten werden sie nach Erreichen des Samenlagers geschlachtet. Im besten Fall bleiben die besten Stiere so lange in Mülligen, bis sie ein Nachzuchtresultat erhalten.

Welches sind die beliebtesten Stiere und warum?

Am häufigsten werden diejenigen Stiere nachgefragt, die komplett und ausgeglichen sind. Dies bedeutet, dass sie bei den Milchleistungsmerkmalen gute Zuchtwerte aufweisen und auch im Exterieur (das Erscheinungsbild des Tiers) positive Zuchtwerte haben, damit die Töchter lange gesund und leistungsfähig bleiben.

Wie kommt man an die Samen der Stiere?

Der Samen wird aufgrund eines natürlichen Reflexes mithilfe einer künstlichen Vagina gewonnen. Der Stier besteigt dazu ein “Phantom”, das kuhähnlich aussieht.

Der Webseite ist zu entnehmen, dass die Stiere manchmal über 10'000 Samendosen produzieren – ist das kein Stress für die Tiere?

Nein. Der von den Stieren gewonnene Samen kann für die künstliche Besamung ziemlich stark verdünnt werden. Aus einem Ejakulat ist es möglich 200-800 Dosen zu produzieren – je nach Alter und Kondition des Stieres. Weiter wird bei der Planung der Samengewinnung auf die individuelle Befindlichkeit der Stiere Rücksicht genommen. Maximal werden die Stiere 2-mal pro Woche in die Sprunghalle geführt.

Sie sagten 200 bis 800 Dosen – eure Stiere haben somit sehr viele Nachkommen.

Je nach Qualität und Beliebtheit des Stieren können das schon einige hundert bis tausend Nachkommen sein. Dabei kommt es auch immer darauf an, wie lange ein attraktiver Stier nachgefragt wird.

Was passiert, wenn der Stier nicht mehr nachgefragt wird?

Jeder Stier, der ein Marktpotential hat, ist in unserer Produktionsstation in Mülligen stationiert und wird dort abgesamt. Wenn wir ein genügend grosses Samenlager haben, wird der Stier geschlachtet. Die Grösse des Samenlagers ist abhängig von der Nachfrage. Deshalb haben die Stiere auch ein unterschiedliches Alter.

Bereits bei der Auswahl des Stieres gibt es strenge Kriterien und auch in den Katalogen können die Wunschstiere genau ausgewählt werden. Es ist also überhaupt nicht mehr der Lauf der Natur – ist das nicht unethisch?

Nein, dies ist im Grundsatz eine natürliche Auslese. Diese würde auch in der freien Natur geschehen, nur etwas langsamer. Wenn beispielsweise ein Wildtier einem anderen unterlegen ist, kann es sich weniger gut anpassen und hat möglicherweise weniger überlebensfähige Nachkommen.

Es besteht trotzdem die Gefahr, dass überall die gleiche Rasse gezüchtet wird. Braucht es nicht eine gewisse Varietät in Rassen und Grösse?

Doch. Das sind wichtige Ziele, welche wir auch in der Zucht verfolgen. Jede Züchterin und jeder Züchter ist frei in der Wahl der Rasse. Swissgenetics führt weltweit das breiteste Angebot an verschiedenen Rassen. Die über 50 Rassen von 1700 verschiedenen Stieren sind weltweit einzigartig. Allerdings importieren wir von gewissen Rassen Samendosen, weil wir nicht alles selber produzieren können.

In einem Siebtel der Fälle, werden die Kälber auf natürlichem Weg gezeugt. Sind die Stiere, die für die Samenproduktion eingesetzt werden, dieselben, wie die, die für die natürliche Befruchtung in Frage kommen?

Nein, in der Regel nicht. Es kann vorkommen, dass ein Stier nach der Produktion bei Swissgenetics zurück auf den Betrieb des Züchters geht und dort im Natursprung eingesetzt wird. Umgekehrt kann ein im Natursprung eingesetzter Stier durch uns mit einem Privatauftrag für den Züchter abgesamt werden. Diese Fälle befinden sich aber in einem zahlenmässig kleinen Rahmen.

veröffentlicht: 27. März 2022 10:39
aktualisiert: 27. März 2022 10:39
Quelle: PilatusToday

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