Games & Traktoren

Wie ein Schweizer Videospiel die Landwirtschaft aufmischt

17.04.2023, 14:24 Uhr
· Online seit 15.04.2023, 14:24 Uhr
Er ist das erfolgreichste Schweizer Videospiel: der Landwirtschafts-Simulator aus Schlieren bei Zürich. Millionen von Spielerinnen und Spielern leben darin auf ihrem virtuellen Bauernhof. Weniger bekannt ist, dass das Spiel beim Kauf von Traktoren & Co. eine immer wichtigere Rolle spielt.
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An einem sonnigen Frühlingstag brummt ein Traktor über ein Feld. Er zieht einen Anhänger hinter sich her, der Mist verstreut. Dann passiert das Unglück: Wegen eines Kraftstofflecks fängt die Zugmaschine Feuer. Der Fahrer kann sich noch rechtzeitig aus der Kabine retten.

Er löscht das brennende Fahrzeug mit Ach und Krach. Anschliessend hastet er zu seiner Garage, holt sich dort einen Lastwagen und schleppt den ausgebrannten Traktor zurück auf den Bauernhof. Nochmal Glück gehabt.

Diese Szene* entstammt nicht der Realität, sie spielte sich in einem Videospiel ab. Genauer: Im Landwirtschafts-Simulator (LS) – entwickelt vom Game-Studio Giants Software aus Schlieren bei Zürich.

Seit 2008 lässt das Spiel Millionen von Gamerinnen und Gamern auf der ganzen Welt einen virtuellen Bauernhof aufbauen und betreiben. Es ist das erfolgreichste Spiel aus der Schweiz und einer der beliebtesten Simulatoren zum Thema Landwirtschaft auf der ganzen Welt.

Vom Spiel zum Business

Vielen in der Game-Community ist der LS ein Begriff; im Positiven wie im Negativen. Die einen lieben das Programm wegen seiner detailgetreuen Nachbildung des landwirtschaftlichen Alltags. Die andern können nicht verstehen, was am Bestellen von Pixelfeldern und Manövrieren mit Polygontraktoren so spannend sein soll.

Was bei dieser Debatte etwas untergeht: Das Game ist zu einem ernstzunehmenden Faktor im Markt für Landwirtschaftsmaschinen geworden.

Anfang September 2022 etwa präsentierte der finnische Traktorhersteller Valtra seine neue erwartete Mittelklasselinie, die «Q-Serie». Gleichzeitig gab Giants Software bekannt, dass mit Version 1.7.1 eine ganze Menagerie von Valtra-Traktoren im LS 2022 Einzug halten wird, inklusive der neuen Q-Modelle. Das war kein Zufall, wie der «Guardian» schreibt.

«Wir arbeiten seit 2014 zusammen und wir sehen, ob unsere Zeitpläne übereinstimmen», erklärte eine Sprecherin von Valtra. «Die Bauern werden von Anfang an von der Q-Serie hören, und noch am selben Tag kann die Gaming-Community sie ausprobieren.»

Das Beispiel illustriert den Stellenwert des Schweizer Games im Bauern-Business. Nicht nur enthält das Spiel mittlerweile Hunderte von Fahrzeugen und Maschinen aller möglicher Hersteller. Bäuerinnen und Bauern benutzen den LS ausserdem, um das teure Farming-Equipment vor einem Kauf in Bits und Bytes auszuprobieren.

Traditionell wurden Traktoren auf Landwirtschaftsmessen beworben und von der Kundschaft unter die Lupe genommen, schreibt der Guardian. Mit dem LS sei ein Medium entstanden, dass dieses Geschäft gehörig durcheinander wirbelt.

Träumen von den Top-Traktoren

Der Aargauer Landwirt Marco bestätigt diesen Trend. Das Tolle am Spiel aus Schlieren sei, dass man sich damit vorab einen Eindruck von Aussehen und Ausstattung einer Maschine machen könne. Auch lasse sich beurteilen, ob das neue Produkt zu der bereits bestehenden Ausrüstung passen könnte.

Marco räumt ein, dass ein Game die reale Testfahrt nicht ersetzen könne: «Wenn es wirklich ums Kaufen geht, würde ich trotzdem zu einem Händler gehen. Dort kann ich die Traktoren auch ohne Problem erst mal etwas ausprobieren oder sogar mieten, bevor ein Kauf infrage kommt.»

Nicht zu unterschätzen sei die Tatsache, dass die jüngere Generation durch den LS mit den Top-Modellen des Landgeräte-Markts konfrontiert wird. Ein moderner Traktor kostet gut und gerne 200'000 Franken, wie ein Blick auf die Verkaufsseiten im Internet offenbart. «Man kann also bereits digital etwas von den Traktoren träumen, die man sich in Zukunft vielleicht gerne kaufen möchte», sagt Marco.

Alle wollen in den Landwirtschafts-Simulator

Giants Software erhalte von den Herstellern inzwischen jedes Jahr Hunderte von Anfragen, ob eine bestimmte Maschine aus der echten Welt im LS vorkommen dürfe – von Traktoren und Mähdreschern bis hin zu Anhängern, Ballenpressen oder Sämaschinen.

Der LS sei so populär, dass einige Firmen ihre Produkte sogar zur gleichen Zeit auf den Markt bringen, wie das Spiel sein jährliches Update erhält. Andere Marken bieten in Kooperation mit Giants Software spezielle Erweiterungspakete mit ihren Maschinen an.

Dem Zürcher Game-Studio habe das Interesse der Hersteller eine willkommene Einnahmequelle verschafft, um die Kosten für die Entwicklung des Spiels zu decken. «Am Anfang mussten wir die Hersteller bitten, in das Spiel aufgenommen zu werden», wird Giants-Marketingchef Wolfgang Ebert zitiert.

«Heute müssen wir uns überlegen, wen wir einbinden können und welchen Nutzen es für das Spiel hat. Es warten viele, viele Marken darauf, in das Spiel aufgenommen zu werden.» Wie viel Geld damit verdient wird, will Giants Software nicht sagen.

Damit die Spielerinnen und Spieler einen authentischen Eindruck von den Landmaschinen bekommen können, braucht es eine minutiöse Simulation. Die Hersteller stellen Giants Software laut Bericht deshalb detaillierte technische Pläne zur Verfügung, damit die Produkte virtuell nachgebildet werden können.

Eine höchst sensible Angelegenheit, wie Partner-Manager Martin Seidel betont. «Wir müssen auf jeden Fall gute Beziehungen zu allen haben.»

SBV sieht keine Gefahr für Messen

Den neuen Traktor zuerst im Game ausprobieren und nachher in echt kaufen – brauchen die Hersteller vielleicht bald keine Landwirtschaftsmessen mehr? Für den Schweizer Bauernverband (SBV) ist das undenkbar. «Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass jemand einen Traktor aufgrund des Landwirtschaftsimulators kauft», so Sprecherin Sandra Helfenstein auf Anfrage.

Das Wichtigste bei einem Traktor seien das bequeme Sitzen, das Handling sowie das Fahrgefühl. Das lasse sich mit ein Game nicht feststellen. «Allenfalls bekommt man über den Landwirtschaftssimulator mit, wenn ein neues Modell eines Anbieters auf den Markt kommt.»

Für den SBV sei der LS aber durchaus interessant. Zahlreiche Menschen auch ausserhalb der Landwirtschaft würden durch das Spiel mit landwirtschaftlichen Fragestellungen konfrontiert und könnten die mit diesem Beruf verbundenen Herausforderungen selbst erleben.

«Das ist wertvoll, denn die meisten haben heute ja keinerlei Bezug zur Produktion ihrer Lebensmittel mehr», sagt Helfenstein weiter. Eine Zusammenarbeit zwischen dem SBV und den Entwicklern des Games ist aber kein Thema.

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* Wie Giants Software schreibt, wurde die beschriebene Szene mit Inhalten erstellt, die von Usern ins Spiel eingefügt wurden (sogenannte Mods). Im ursprünglichen Spiel ist das so nicht möglich.

veröffentlicht: 15. April 2023 14:24
aktualisiert: 17. April 2023 14:24
Quelle: Today-Zentralredaktion

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