Forensic Nursing

Wie eine Ausbildung hilft, Opfer von häuslicher Gewalt zu erkennen

31.08.2021, 13:37 Uhr
· Online seit 30.08.2021, 09:21 Uhr
Schweizer Pflegefachpersonen können am Institut für Rechtsmedizin der Universität Zürich die Weiterbildung in Forensic Nursing machen. Dabei lernen sie, Verletzungen von Opfern sexueller oder häuslicher Gewalt richtig zu dokumentieren, damit diese als Beweismittel dienen können.
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Es ist später Abend auf einer Notfallstation in irgendeinem Schweizer Spital. Eine Frau wird auf den Notfall gebracht, ihr Körper ist mit Blutergüssen und Prellungen übersät, die Lippen aufgeschlagen. Sie erzählt der Pflegefachfrau, dass sie von ihrem Mann geschlagen wurde. Ihre Verletzungen müssen nun ganz genau dokumentiert werden. Denn wird zu einem späteren Zeitpunkt eine Anzeige erstattet, braucht es Beweise für das Geschehene. Die Pflegefachfrau, die an diesem späten Abend auf der Notfallstation arbeitet, hat den Abschluss CAS in Forensic Nursing und dokumentiert die Verletzungen, so wie sie es in der Ausbildung gelernt hat: Sie fotografiert die Wunden, trägt sie in einem Körperschema ein und beschreibt diese als Text.

Schweizweit rund 100 Forensic Nurses

Das ist ein fiktives Beispiel, das Rosa Maria Martinez gegenüber der Redaktion erzählt. Sie ist Rechtsmedizinerin und Studiengangsleiterin des CAS in Forensic Nursing am Institut für Rechtsmedizin der Universität Zürich. Es ist unter anderem ihr Verdienst, dass in den Schweizer Spitälern heuer rund 100 Pflegefachpersonen mit dieser rechtsmedizinischen Ausbildung arbeiten. «Unser Ziel ist es, dass in jedem Spital mindestens eine Forensic Nurse arbeitet», so Martinez. Die Weiterbildung wird seit sechs Jahren angeboten, das Interesse sei gross.

Dokumentation von Prellungen und Blutergüssen

Es sind die besonders schwierigen und emotionalen Fälle, mit denen Forensic Nurses bei ihrer täglichen Spitalarbeit konfrontiert werden: Es geht um Verletzungen durch häusliche Gewalt und sexuellen Übergriffen. Wunden, Hautabschürfungen und Blutergüsse, die auch psychische Narben hinterlassen haben. In der Ausbildung lernen angehende Forensic Nurses den richtigen Umgang mit Betroffenen und die rechtsmedizinischen Grundlagen, um Verletzungen richtig zu dokumentieren.

Für die Frau mit den Blutergüssen, die am späten Abend auf der Notfallstation eines Schweizer Spitals liegt, ist die genaue Dokumentation ihrer Verletzungen im ersten Moment möglicherweise zweitrangig. Doch wird der Vorfall zu einem Gerichtsfall, braucht es die handfesten Beweise.

Häusliche Gewalt zählt seit 2004 als Offizialdelikt und wird auf Amtes wegen verfolgt. Die Betroffene muss keine Anzeige erstatten. «Ärzte und Pflegefachpersonen haben gemäss dem zürcherischen Gesundheitsgesetz ein Melderecht und dürfen Fälle bei der Polizei melden – ohne Einwilligung des Opfers», sagt Martinez. Dafür braucht die Rechtsmedizin Beweise, die vom Gericht verwertet werden können. Bevor der CAS Forensic Nursing angeboten wurde, seien die Spitalberichte teilweise nicht verwertbar gewesen. «Viele Fälle wurden aufgrund schlecht dokumentierter Verletzungen gar nie rechtsmedizinisch untersucht.»

Verletzungen erkennen

Es komme immer wieder vor, dass Opfer von häuslicher Gewalt oder eines Sexualdelikts ins Spital gehen, jedoch einen anderen Grund für die Verletzungen angeben. «Forensic Nurses haben ein geschultes Auge und können Verletzungen durch Gewalteinwirkung erkennen», so Martinez. Dass jemand lediglich eine Halsverletzung von einem Sturz von der Treppe hat, sei praktisch unmöglich. «Die Forensic Nurses sprechen das Opfer empathisch darauf an.» So wolle man die Dunkelziffer der Fälle von häuslicher Gewalt gegen Frauen, Vergewaltigungen und sexueller Nötigung ins Hellfeld bringen.

«Geht um die Beweislage»

Man merkt, dass Rosa Maria Martinez viel Energie in diese rechtsmedizinische Ausbildung steckt. «Ich mache das nicht für mich. Auch die Forensic Nurses machen das nicht für sich. Wir machen es für die Betroffenen», so Martinez. Ob Opfer oder Beschuldigte – das sei ihr eigentlich egal. «Es geht darum, dass verletzte Personen eine gute Beweisgrundlage haben, sollte es zu einem Gerichtsfall kommen.»

(red.)

veröffentlicht: 30. August 2021 09:21
aktualisiert: 31. August 2021 13:37
Quelle: FM1Today

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