Impfpass gegen Bitcoin

Wir haben versucht, ein Fake-Covid-Zertifikat zu bestellen

13.07.2021, 07:59 Uhr
· Online seit 13.07.2021, 06:09 Uhr
Im Internet werben viele Anbieter mit angeblich gefälschten Covid-Zertifikaten für Ungeimpfte. Wir wollten das illegale Angebot aus Neugierde mal ausprobieren. So einfach an ein Zertifikat zu kommen, wie es die anonymen Anbieter versprechen, ist es dann doch nicht.
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«Für alle Schweizerinnen und Schweizer, die ohne Impfung einen Impfpass erhalten möchten, können wir Sie bei dieser Impfstelle registrieren lassen und die Karte an Ihre Lieferadresse liefern.» So wird in verschiedenen Gruppen auf dem Messenger-Dienst «Telegram» geworben. Die grösste deutschsprachige Gruppe umfasst über 100'000 Mitglieder und bietet gelbe Impfpässe und QR-Codes für Corona-Impfungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz an.

Die Betreiber geben an, die Zertifikate in jedem Kanton ausstellen zu können. Kosten: 150 Euro, zu überweisen per Bitcoin auf ein anonymes Konto. Weil das Schweizer Covid-Zertifikat laut Bundesamt für Informatik und Telekommunikation als fälschungssicher gilt, bräuchten die Anbieter dazu «Insider», welche die Systeme in den Kantonen manipulieren und an ungeimpfte Personen versenden können. Dass dies der Fall sein soll, soll ein Foto des Impfzentrums auf der Luzerner Allmend in der Telegram-Gruppe beweisen.

Ich möchte wissen, ob das wirklich funktioniert. Kurz beim Chef die Spesen für das Fake-Zertifikat bewilligt und schon schreibe ich mit «Jürgen».

Ich bin ein nerviger Kunde. Lasse mir von Jürgen alles erklären, bevor ich immer wieder eine Rückfrage stelle. Ich will schliesslich sicher sein, dass es sich beim Bitcoin-Deal nicht um einen Betrug handelt. Wo kämen wir denn hin, wenn Menschen im Internet einfach Lügen verbreiten?

Alles kein Problem, versichert mir Jürgen. Sobald das Geld angekommen sei, würden mich «die Jungs» im System registrieren. Danach werden Impfpass und QR-Code versendet, verspricht Jürgen. Auch wenn ich in Jürgen und «die Jungs» vollstes Vertrauen habe, hake ich nochmal nach. Dass Jürgen immer wieder Impfpass und Covid-Zertifikat verwechselt, macht mich stutzig.

Auch wenn sein Deutsch nicht ganz einwandfrei ist, antwortet Impfpass-Dealer Jürgen immer sehr schnell und verständnisvoll. Er versichert mir, schon einige Aufträge im Kanton Luzern abgewickelt zu haben. Meine Neugierde ist grösser als meine Vorsicht und so überweise ich die umgerechnet 165 Franken in Bitcoins und warte auf das Fake-Zertifikat.

Nur zwei Minuten nach der Überweisung kommt die erste Ernüchterung. Jürgen scheint erst jetzt in den Sinn zu kommen, dass es pro Impfdosis einen Aufkleber im Impfbüchlein gibt. «2 Sticker kosten 300 €, für nur 1 Sticker 150 €. Wenn Sie bereit sind, verwenden Sie dieselbe Wallet-Adresse und bezahlen Sie», erklärt er nüchtern. Ich bin verwirrt, soll ich also das Doppelte bezahlen?

«Ein Impfausweis kostet 150 Euro, hast du mir gesagt», erinnere ich Jürgen. Er willigt ein, «ok, gut». In drei Tagen soll der Schein da sein. Ich warte. Und warte. Nach rund einer Woche warte ich noch immer. Die Antworten auf mein mehrmaliges Nachfragen werden immer knapper und Jürgen vertröstet mich.

Langsam werde ich das Gefühl nicht los, einem klassischen Betrug im Internet zum Opfer gefallen zu sein. Bei über 100'000 Mitgliedern in der Telegram-Gruppe dürfte ich nicht das erste und letzte Opfer gewesen sein. Wie viel Geld «Jürgen» und «die Jungs» mit der Masche verdient haben, lässt sich nur mutmassen. So traurig ich über das verlorene Geld bin, so froh bin ich, dass sich unser Gesundheitssystem nicht so einfach austricksen lässt, wie manche zu glauben scheinen.

Und Jürgen, wenn du das liest, gib mir meine Kohle wieder!

veröffentlicht: 13. Juli 2021 06:09
aktualisiert: 13. Juli 2021 07:59
Quelle: PilatusToday

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