Prozess

Wirbel um Journalisten unterbricht Prozess um «Kill-Erdogan»-Plakat

· Online seit 18.01.2022, 16:56 Uhr
Der Prozess um das «Kill Erdogan»-Plakat, das 2017 in Bern an einer Kundgebung gezeigt wurde, dauerte am Dienstag nicht lange: Kurz nach dem Start des Beweisverfahrens unterbrach der Gerichtspräsident die Verhandlung wegen des Wirbels um einen türkischen Journalisten.
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Einer der vier Verteidiger der Beschuldigten reichte am Morgen im Gerichtssaal Strafantrag gegen den Mann ein und beantragte, dieser sei des Saals zu verweisen. In einem - inzwischen gelöschten - Tweet des Mannes habe dieser die Beschuldigten als «Terroristen» bezeichnet. Das sei ehrverletzend.

Bei ihm handle es sich um einen «Vertreter des türkischen Staats» im Saal, so der Verteidiger weiter. Der Rechtsanwalt bezog sich damit auf die Tatsache, dass der Mann laut dem Profil auf seinem Twitter-Account für die staatliche türkische Nachrichtenagentur Anadolu arbeitet. Das sagte er im Gerichtsgebäude auch selber.

Nach einem ersten Unterbruch vor dem Mittag gab der Gerichtspräsident Anfang Nachmittag bekannt, die Verhandlungen würden bis Mittwoch unterbrochen. Er brauche mehr Zeit in dieser Angelegenheit. Es gehe um einen heiklen Entscheid im Spannungsfeld von Unschuldsvermutung und Pressefreiheit.

Anschliessend informierte der Gerichtspräsident den türkischen Journalisten mit Hilfe eines inzwischen aufgebotenen Übersetzers. Der Mann spricht nach eigenen Angaben kein Deutsch, aber Englisch. Er veröffentlichte die Kurznachricht auf Türkisch auf seinem privaten Twitter-Account.

Plakat löst kleine Staatsaffäre aus

Vor dem Einzelrichter des Regionalgerichts Bern-Mittelland in Bern stehen vier Beschuldigte. Ihnen wirft die Staatsanwaltschaft in einem Strafbefehl vor, mit dem Plakat von 2017 öffentlich zu Verbrechen oder Gewalttätigkeit aufgerufen zu haben. Diesen Strafbefehl haben die vier angefochten, so dass es zum Prozess kommt.

Das Plakat mit der Aufschrift «Kill Erdogan with his own weapons!» («Töte oder Tötet Erdogan mit seinen eigenen Waffen!») wurde im März 2017 am Rand einer Kundgebung für Demokratie in der Türkei mitgeführt. Dies von einer Gruppe von rund 150 Personen, welche sich beim alternativen Berner Kulturzentrum Reitschule besammelt hatten.

Noch am Tag der Kundgebung protestierte die Türkei beim Aussendepartement EDA in Bern und bestellte in Ankara die Schweizer Vize-Botschafterin ein. Es kam auch zu einem Telefongespräch zwischen den beiden Aussenministern. Die Türkei forderte eine Untersuchung und Erdogan sagte, die Schweiz müsse aufhören, Terrororganisationen zu unterstützen.

EDA muss nicht antraben

Vor dem Start des Beweisverfahrens hatte der Berner Einzelrichter über Anträge zu befinden, nicht auf die Anklage einzutreten respektive zwei Vertreter des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) als Zeugen vorzuladen.

Zur Begründung sagten Verteidiger der Beschuldigten, das EDA habe auf Druck des türkischen Staats Druck auf die Berner Staatsanwaltschaft ausgeübt. Nur wegen dieses Drucks hätten die vier Beschuldigten Strafbefehle erhalten. Sechs- bis siebenmal habe sich das EDA bei der Justiz gemeldet.

Der Berner Einzelrichter wies die Anträge ab. Er sagte, die Staatsanwaltschaft habe das Strafverfahren eröffnet, bevor sich das EDA bei dieser meldete. «Das Gericht wurde nie vom EDA kontaktiert und fühlt sich absolut unbeeinflusst», so der Richter.

Der Vertreter der Staatsanwaltschaft sagte, es sei normal, dass die Staatsanwaltschaft die Öffentlichkeit über den Stand von Verfahren informiere - gerade wenn es um bedeutende Fälle gehe. Sie habe jeweils nur mitgeteilt, das Verfahren laufe noch.

Kleine Demo vor Prozessbeginn

Vor Prozessbeginn besammelten sich vor dem Sitz des Gerichts etwa 50 Unterstützerinnen und Unterstützer der Beschuldigten. Die Polizei sicherte das Gebäude und schritt laut einem Video der Unterstützer ein, als ein Plakat mit der Aufschrift «Killer Erdogan» gezeigt wurde.

Ein «Unterstützungskomitee» hat vor Prozessbeginn auf Twitter und im Internet klar gemacht, dass es diesen Prozess will: Es gehe darum, auf dieser öffentlichen Bühne Erdogans Politik anzuprangern.

veröffentlicht: 18. Januar 2022 16:56
aktualisiert: 18. Januar 2022 16:56
Quelle: sda

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