Fast alle im «Raum Sturm» des Kybunpark hatten hinter den gebrauchten St. Galler Mittwochabend schon einen Haken gemacht, als nochmals eine Frage in Richtung Peter Zeidler kam. Richard Fischbacher, der die St. Galler Heimspiele als Stadion-Speaker begleitet und nach Spielschluss durch die Pressekonferenz führt, wollte von seinem Trainer wissen: «Wie richtet man die Mannschaft nach so einer 0:5-Niederlage wieder auf?» Mit einem Schmunzeln quittierte der Deutsche die Frage aus der eigenen Reihe und antwortete: «Das überlege ich mir in den nächsten Stunden.»
Bis Samstag sollten die Ostschweizer die Kanterniederlage, die wohl das Ende der Titelträume bedeutet, aus ihren Köpfen verbannt haben. Dann stehen sie in Zürich gegen den FCZ bereits wieder im Einsatz. Der Fokus für die letzten drei Spiele der Saison wird ein neuer sein: Im Zentrum von Zeidlers Schaffen wird die Absicherung des 2. Ranges stehen, den der FC Basel rückte dank dem Kantersieg im Direktduell auf drei Punkte heran. Und Titelchancen? «Nach einem 0:5 können wir nicht allen Ernstes vom Titel reden», hatte Zeidler am Mittwoch auf die entsprechende Frage eines Journalisten geantwortet.
Verschwörung gegen den Aussenseiter?
Die St. Galler durchlaufen gerade die schwierigste Zeit seit dem Meisterschaftsstart vor über einem Jahr, das war schon vor dem 0:5 gegen Basel zu sehen. Nur einen Sieg errangen sie in den letzten fünf Partien, für ernsthafte Titelambitionen reichen solche Statistiken nicht. Die Erklärungen für die Baisse sind je nach Partei freilich unterschiedlich. Einige Fans und gewisse Medien wollen eine Benachteiligung des Aussenseiters ausgemacht haben. Die Topklubs Basel und Young Boys profitieren im neuen Spielplan der SFL nach der Coronavirus-Pause von längeren Pausen, während St. Gallen kaum längere Erholungsphasen zugestanden würden.
Ebenso hadert man - meist hinter vorgehaltener Hand - mit einigen Schiedsrichterleistungen. Dieser Frust fusst vor allem auf dem 3:3 im Spitzenkampf gegen die Young Boys von Ende Februar. Der Gast aus Bern war dank einem späten Penaltytor von Guillaume Hoarau weit in der Nachspielzeit zum glückhaften Ausgleich gekommen. Dabei profitierte der Meister von der umstrittenen Wiederholung des Penaltys, nachdem Hoarau im ersten Versuch an St. Gallens Goalie Lawrence Ati Zigi gescheitert war. Auch gegen Basel entschieden die Referees beim Stand von 0:2 in einer strittigen Strafraumsituation nicht zu Gunsten des FCSG. Wer Anzeichen für eine Verschwörung sucht, wird im Fussball meist fündig.
Gemässigtere Erklärungsversuche gehen in die Richtung, dass dem jungen St. Galler Team im hektischen Schlussspurt schlicht die Kraft für Zeidlers aufreibenden Spielstil fehlt, woran auch ein paar weitere Ruhetage nichts ändern würden. Für die NZZ war dem Überraschungsteam aus St. Gallen am Mittwoch anzumerken, «dass es ermattet ist von seinem strengen Corona-Spielplan». Anders sah es Peter Zeidler. Sein Team habe in der Startphase schlicht schlecht verteidigt, Basel dafür umso besser angegriffen. Ein Zeichen für fehlende Kraftreserven sei der Fehlstart nicht gewesen.
Welche Optionen?
Die Wahrheit dürfte irgendwo zwischen Trainer und NZZ liegen. Wer Zeidler während des Spiels gegen Basel beobachtete, bekam in regelmässigen Abständen den immer gleichen Ablauf zu Gesicht. Der Trainer bewegte seine ausgestreckten Hände in gegebenem Abstand aufeinander zu, als würde er dazwischen einen unsichtbaren Schneeball formen. Zeidler legte damit offen, was ihm am Spiel seiner Mannschaft missfiel. Die Abstände zwischen den einzelnen Linien waren beim FCSG zu gross, weshalb die Basler im Mittelfeld viele zweite Bälle eroberten und so das rasche Gegenpressing des Heimteams unterbanden.
Dass St. Gallen nach frühem Rückstand zwischenzeitlich ins Spiel fand, lässt derweil mehr auf ein mentales Problem schliessen als auf fehlenden Saft in den Beinen. Die Zitrone FCSG scheint ausgepresst: körperlich und mental. Während Basel und vor allem die Young Boys mit einem breiten und austarierten Kader in den Liga-Neustart gingen, hat Zeidler nur wenige Optionen. Dass er in der aktuellen Situation an seinem Stamm festhält, bringt ihm Kritik ein, obschon der Spielraum für Rotationen klein ist.
Als Zeidler vergangenen Monat bei der 0:4-Heimniederlage gegen Zürich ein Experiment mit Fabiano Alves wagte, ging dies eindrücklich schief. Zeidler wechselte den 25-jährigen Brasilianer, den er zur Pause beim Stand von 0:1 aufs Feld schickte, 20 Minuten später wieder aus - da führte Zürich 0:2. Am Samstag heisst der Gegner von St. Gallen wieder FCZ. Auf grosse Experimente dürfte Zeidler diesmal verzichten.