Aktuelle und ehemalige Weggefährten haben grossen Respekt vor Gökhan Inler. Unter die ersten Gratulanten reihte sich die Prominenz: Napolis Rekordtorschütze Dries Mertens schickte seinem früheren Mitspieler Emojis, Xherdan Shaqiri beglückwünschte Inler ebenso, der Chelsea-Ikone Didier Drogba entging der Triumph des 36-jährigen Schweizers ebenso wenig. Auf allen möglichen Kanälen gab es Applaus. «Nonstop erhalte ich neue Nachrichten auf dem Handy», übermittelt Inler aus Istanbul.
Die zahllosen Rückmeldungen sind für ihn vor allem etwas: «Ich spüre grossen Respekt. Das ist für mich immer die Basis von allem.» Er habe nie vergessen, woher er stamme. «Ich war immer ein Arbeiter - seriös, ein Schaffer. All die höher eingestuften Talente, die in meiner Jugend vor mir gefördert worden sind, habe ich überholt.» Sein Ethos schimmert durch, der unermüdliche Kämpfer hat einen weiteren Meilenstein erreicht.
Die üblichen Dominatoren waren im Vergleich mit Inlers Equipe chancenlos. Dem schwergewichtigen Istanbuler Trio Besiktas, Fenerbahce und der Rekordchampion Galatasaray fehlte in der Corona-Saison der heissblütige Anhang. «Wir spielten nie vor vielen Zuschauern. Für uns war das kein Problem, sondern eher ein Vorteil», meldet Gökhan Inler vom Bosporus. Er bilanziert im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA mit der ihm eigenen Seelenruhe: «Für die grossen Vereine in der Türkei sind die Fans der zwölfte Mann - ihnen fehlten sie mehr als uns.»
Inler hat im Ausland alles erlebt. Die erfolgreichen Jahre im verrückten Fussball-Süden in Napoli prägten ihn. Dann die Meister-Sensation mit Leicester City und nur ein Jahr später das rauschende Fest mit Besiktas. «Mein Rucksack ist prall gefüllt.» Und nun gehört er zu jener Gruppe, die einen Klub an die Spitze der Süper Lig führte, der erst seit 2014 zur obersten Klasse zählt.
In den letzten Kampagnen fehlte oft nur ein Wimpernschlag. Basaksehir genoss unter Fachleuten höchste Wertschätzung. Von Basak City war die Rede, «weil wir die Gegner wie Manchester City dominierten». Aber erst eine strategische Umstellung unter dem neuen Coach Okan Buruk führte zum Coup. «Weniger Ballbesitz, mehr Konter», fasst Inler den taktischen Winkelzug in Kürze zusammen.
Der langjährige Captain der Schweizer Nationalmannschaft stand nur noch vereinzelt auf dem Feld. Seine Joker-Rolle änderte indes nichts an seiner Mentalität. Inler demonstrierte im Alltag Loyalität und Leadership. «Ich habe kein Training verpasst. Wenn ich meinen Job auch ausserhalb der Matchtage mache, wird das intern registriert. Der 20-Jährige sieht, wie viel Gas der 36-jährige Inler gibt. Das spornt ihn an.»
Einiges habe ihn an das beispiellose Jahr in Leicester erinnert, so Inler. Sie hätten auch bei Basaksehir eine «gesunde, positive Gruppe. Gute Jungs mit einer positiven Ausstrahlung und viel Aura. Auch die Ersatzspieler waren jederzeit bereit.» Der Trainer habe es meisterhaft verstanden, die «zweite Reihe zu füttern». Grossklubs würden oft genau daran scheitern.
«Wenn der Trainer sich gegen mich entscheidet, so habe ich das zu akzeptieren. Ich bin nicht mehr 22, ich habe inzwischen viel Erfahrung - auch als Mensch. Nach vielen Jahren als Stammspieler lernte ich eine neue Seite kennen.» Inler klingt nicht verbittert, im Gegenteil: Er ist reif wie nie, er demonstrierte in den letzten Monaten persönliche Grandezza. Nach der achten Trophäe seiner Laufbahn ist er überzeugter denn je: «Ich habe ein gutes Gefühl, ich gebe alles für den Fussball, ich liebe diesen Sport.»
Im August folgen die nächsten Knock-out-Spiele in den Achtelfinals der Europa League. Was nach dem Vertragsende in Istanbul folgt, lässt Inler offen: «Ich würde eigentlich gerne weitermachen. Das Feuer spüre ich noch, ich habe weiterhin Hunger.» Irgendwann komme das Ende, aber das hänge von ihm selbst ab: «It’s up to me.»