Magische Europacup-Abende

Nur der Schiedsrichter verhinderte Wettingens Jahrhundert-Coup

· Online seit 07.05.2020, 04:35 Uhr
Im Herbst 1989 schnuppert der FC Wettingen an der Europacup-Sensation. Erst ein erfundener Penalty im Rückspiel besiegelt die Niederlage gegen Napoli.
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Der FC Wettingen schnupperte im Herbst 1989 an der Sensation, als er im UEFA-Cup in der 2. Runde auf Titelverteidiger Napoli mit Diego Maradona traf. Nach dem 0:0 im Hinspiel im Letzigrund unterlagen die Aargauer im Rückspiel nach einem umstrittenen Penalty 1:2.

«Zum Schiedsrichter will ich nur so viel sagen, dass er ausser bei seinen Fehlentscheiden gut gepfiffen hat.» Wettingens deutscher Trainer Udo Klug hatte den Humor nicht verloren, als er sich nach dem Ausscheiden an der Pressekonferenz zum Spiel äusserte. Später wurde der ehemalige Bundesliga-Trainer in den Katakomben des San Paolo aber deutlicher. «Es ist deprimierend, wenn wir wegen des Schiedsrichters aus einem Wettbewerb ausscheiden und uns in der Meisterschaft Punkte gestohlen werden.»

Der FC Wettingen, der kleine Klub aus dem Kanton Aargau, hatte den Titelverteidiger an den Rand des Ausscheidens gebracht. Zur Sensation fehlte wenig an diesem Herbstnachmittag in Neapel. Nach dem 1:0 von Brian Bertelsen in der 16. Minute boten sich Marcel Heldmann, Dan Corneliusson und Andreas Löbmann - diesem unmittelbar vor dem 1:2 - Chancen zu einem weiteren Tor für die Gäste. Entschieden wurde das Duell durch einen verwandelten Foulpenalty von Massimo Mauro in der 75. Minute. «Der Penalty war ein schlechter Witz des Schiedsrichters», sagte Keeper Jörg Stiel. Der Underdog aus der Schweiz fühlte sich vom Referee aus Malta betrogen - wohl zu Recht.

Martin Rueda, Peter Schepull und Roger Kundert hiessen weitere Protagonisten des NLA-Klubs, ihnen gegenüber standen in diesem ungleichen Duell Stars wie Alemão, Careca, Gianfranco Zola oder Andrea Carnevale - und natürlich Diego Armando Maradona. Kein anderer prägte die Geschichte der Società Sportiva Calcio Napoli so wie «El Pibe de Oro», der Goldjunge, der Argentinien 1986 zum WM-Titel führte. Nach seinem Wechsel vom FC Barcelona brachte Maradona den Erfolg auch in den Süden Italiens. 1987 holte Napoli den «Scudetto», 1989 folgte der Sieg im UEFA Cup, 1990 der zweite und bislang letzte Meistertitel. Die Stadt am Vesuv lag Maradona zu Füssen.

Shoppen an der Bahnhofstrasse

Auch Zürich versetzte Maradona im Oktober 1989 für ein paar Tage in Aufruhr. Das Hinspiel im Letzigrund war mit 23'000 Zuschauern ausverkauft, die meisten von ihnen Secondos mit italienischen Wurzeln. «Wir treffen auf einen leichten Gegner», hatte Maradona im Vorfeld der Partie frohlockt. Diese bot mit Ausnahme von zwei Lattentreffern aber wenig Höhepunkte. Wettingens Jan Svensson hielt Maradona in Schach, doch allein die Jonglierkünste beim Aufwärmen von Napolis Nummer 10 waren das Eintrittsgeld wert. 100 Franken kostete ein Sitzplatz, um den besten Spieler der Welt zu bewundern.

Bereits das Abschlusstraining am Tag zuvor, für das Wettingens Präsident Hubert Stöckli ebenfalls Eintritt verlangte, hatte viele Fans in den Letzigrund gelockt. Auch die Zürcher Innenstadt freute sich auf den Besuch des «Goldjungen», der mit der Mannschaft im Hotel Atlantis am Fusse des Üetlibergs logierte. In der Chronometrie Beyer an der Bahnhofstrasse war Maradona regelmässig zu Gast. Rund zehn Uhren soll der Argentinier gekauft haben, wie Beyer Jahre später in seinem Kundenmagazin «Beyond» preis gab.

Im Rückspiel in Neapel fehlte Maradona kurzfristig. Er hatte sich - wenige Tage vor seiner Hochzeit in Buenos Aires - mit der Vereinsleitung überworfen und wurde intern gesperrt. Das Verhältnis zwischen dem Captain und Präsident Corrado Ferlaino war schon länger angespannt, nachdem dieser Maradona in der Sommerpause die Freigabe für einen Vereinswechsel nicht erteilt hatte.

Der Anfang vom Ende für Wettingen

Für den FC Wettingen waren die beiden Partien inklusive der Reise im Privatjet nach Neapel der Höhepunkt eines turbulenten Herbstes, in dem der Klub auch für negative Schlagzeilen sorgte. Elf Tage vor dem Hinspiel gegen Napoli war es im Sittener Tourbillon zum Vorfall gekommen, der als «Fall Klötzli» in die Geschichte des Schweizer Fussballs einging.

Vier Spieler von Wettingen hatten nach Schlusspfiff Schiedsrichter Bruno Klötzli tätlich angegriffen, nachdem dieser den vermeintlichen Ausgleich der Aargauer zum 1:1 aberkannt hatte - weil er kurz vor der Überquerung der Torlinie des Balles abpfiff. Es war nicht der einzige bittere Pfiff in diesem Herbst aus Sicht der Aargauer - und der Anfang vom Ende. 1993 ging der Klub pleite und startete in der 5. Liga einen Neubeginn.

veröffentlicht: 7. Mai 2020 04:35
aktualisiert: 7. Mai 2020 04:35
Quelle: sda

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