Berlin

«Medienzeit» zwischen Wut und Sex - Bisky malt «Disinfotainment»

· Online seit 31.05.2021, 10:00 Uhr
Medienzeit ist ein fester Begriff in der Kindererziehung. Doch wie viele Stunden, Nächte, Monate mit Rechnern, Bildschirmen, Netzverbindungen verkraften wir vermeintlich Erwachsenen?
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«Medienzeit» ist Titel einer neuen Arbeit von Norbert Bisky. In seinem Berliner Atelier hat sich einer der wichtigsten deutschen Gegenwartskünstler über neue Arbeiten damit auseinandergesetzt, «wie viel Zeit wir eigentlich den ganzen Tag vor diesen Bildschirmen verbringen». Die Ergebnisse werden von diesem Freitag an in der Ausstellung «Disinfotainment» in der G2 Kunsthalle in Leipzig präsentiert.

Für «Medienzeit» hat Bisky eine neue Form seiner Arbeit entwickelt. Die gewohnt farbkräftigen Szenen, vom Künstler häufig collagenartig neben- und ineinander gemalt oder als Schnipsel montiert, hat er auf einem Spiegel angeordnet. Bereiche, wo der 50-Jährige sonst Fetzen blanker Leinwand in seine figurativen Motive ragen lässt, bleiben so reflektierend frei.

Betrachter finden sich unvermittelt selbst in einer Kunstwelt zwischen einem wütenden Gesicht, das vor Aggression zu zerplatzen scheint, und der Innigkeit eines sich liebenden Paares.

Drastischer noch der Bezug zwischen den Welten in «Troll Farmer». Dem chattenden Mann ragt aus seinem Laptopmonitor ein Unterarm mit gestrecktem Mittelfinger entgegen. Und doch scheint der User wie gebannt weiter auf den Bildschirm zu starren - er selbst füttert die Internet-Trolle, die ihn beleidigen.

Der Einfluss virtueller Umgangsformen auf die Realität hat sich aus Sicht Biskys mit der Pandemie verstärkt. «Durch Corona haben sich bestimmte Trends nur beschleunigt», sagt er der dpa in Berlin. «Jetzt ist es halt vielleicht stärker sichtbar und klarer geworden, wie viel Zeit wir eigentlich den ganzen Tag vor diesen Bildschirmen verbringen.»

Wie für viele Menschen kamen für Bisky in den vergangenen Monaten «die Impulse der Aussenwelt eigentlich nur noch über diese Geräte». Die Folgen fliessen in die Bilder ein. «Ich erlebe, wie alle Leute in unheimlich starken Kämpfen gefangen sind und sich mit Problemen herumschlagen, die zwar real sind, aber nur virtuell ausgetragen werden - und da letztendlich nicht lösbar sind.» So glaubten Menschen, «Probleme wie den Nahostkonflikt auf Instagram zu lösen».

Bisky sieht eine Hysterie von Wahrnehmung. «Alles beschleunigt sich selbst und der Algorithmus fährt das auch nochmal hoch.» Für den Künstler «völliger Wahnsinn, was hier abgeht». Menschen hauten sich «die grosse Welt der Verschwörungstheorien und ganz viel Zeug an den Kopf», während alle zu Hause sässen und draussen eigentlich nix passiere. Ein Tweet werde so zum realen Ereignis. «Da ist unglaublich viel Aggression drin.»

Den Ausstellungstitel «Disinfotainment» hat er in einem Aufsatz entdeckt. «Ein Kofferwort, das unheimlich gut den ganzen Wahnsinn beschreibt, in dem wir uns befinden und wie das komplett unsere Wahrnehmung auffrisst.» Aber eben alles nur virtuell.

Der in Berlin und Spanien lebende Bisky kommt erstmals mit einer Einzelausstellung in seine Geburtsstadt Leipzig. «Der Fokus liegt vor allem auf meiner Auseinandersetzung mit Arbeiten der letzten Jahre, die etwas mit Medien zu tun haben, mit unserer Art, mit dieser Bilderflut und Informationsverarbeitung umzugehen.»

Die Präsentation in Leipzig sei «besonders, weil ich das Gefühl habe, es gibt einen Zugang zu meiner Biografie». Bisky, Sohn des Linke-Politikers Lothar (1941–2013) und Bruder des Schriftstellers Jens, lebte bis 1981 in der Stadt. Leipzig habe sich wahnsinnig entwickelt", sei «wirklich toll» geworden.

Bisky integriert einen kleinen Teil der Vergangenheit in die Ausstellung. «Ich nehme ganz wenige Elemente mit rein, die etwas mit meiner DDR-Biografie zu tun haben. So wie auch der Ort Veränderungen erfahren hat.»

Das Gebäude der G2 Kunsthalle wurde in den letzten Jahren der DDR als VEB-Datenverarbeitungszentrum errichtet. Bisky greift das in einer Installation mit alten Robotron-Computern auf. Und mit einem Ormig-Apparat. Die einfachen Matrizendrucker dienten zur Vervielfältigung - auch oppositionellen Gruppen.

In den Bildern steht seine Form der künstlerischen Auseinandersetzung im Gegensatz zum Sujet. «Es ist auch verrückt, sowas mit Ölfarben zu machen, also Zeitverbindungen herzustellen mit Ausdrucksformen, die sehr alt und sehr traditionell sind, und trotzdem zu versuchen, sich irgendwie in der Gegenwart auszudrücken, Fragen zu stellen», sagt Bisky.

Aber es gebe ja auch Menschen, die zeitgenössische Opern schrieben. «Ich fühle mich da eigentlich in guter Gesellschaft.»

veröffentlicht: 31. Mai 2021 10:00
aktualisiert: 31. Mai 2021 10:00
Quelle: sda

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