Besichtigungs-Marathon

Nachmieter gesucht: Von Drogensüchtigen und guten Kerlen

12.03.2021, 20:14 Uhr
· Online seit 12.03.2021, 19:23 Uhr
Im April ziehe ich um und das macht gefühlt auch jede dritte Person in meinem Umfeld. Weil meine Kündigung nicht ordentlich war, musste ich einen Nachmieter finden. Das heisst: Besichtigungen, Besichtigungen, Besichtigungen. Insgesamt habe ich um die 40 Rundgänge durch mein Reich durchgeführt – für eine 2-Zimmerwohnung in Stadtnähe.
Anzeige

Was man so in einer halben Stunde über Personen herausfinden kann, ist schon interessant. Man erfährt Sachen, die man sonst bei einem ersten Treffen wohl nicht erfahren würde. Ob man will oder nicht. Hier ein Einblick in die Perlen meines Besichtigungsmarathons:

Interessent 1: Ade Messi

Der junge, gross gewachsene Mann mit Mütze auf dem Kopf kommt in die Wohnung. Er ist hell begeistert. «Das ist es, genau das ist es!», schreit er und breitet seine Arme aus, als ob er meine Küche umarmen möchte. Er will weder Keller noch Waschküche noch irgendetwas anderes sehen, sondern einfach bloss das Bewerbungsformular abholen. Er habe schon einmal eine Wohnung in diesem Block angeschaut, drum kenne er alles. Die andere Wohnung sei allerdings für Februar gewesen, zu früh für ihn. April, das sei perfekt, sagt er, schnappt sich das Formular und rauscht aus der Wohnung, ich bleibe etwas benommen stehen. Ich glaub, ich habe kein Wort mit dem jungen Mann gewechselt, bis auf: «Komm doch rein.» Ich weiss nicht recht, wie mir geschehen ist, bin etwas überrumpelt. Na gut, sage ich mir, als die Verwirrung verflogen ist. Das ist doch schon mal positiv.

Interessenten 2: Von oohs und aaahs

Ein Pärchen kommt vorbei und schon beim Eintreten beginnen sie von der Wohnung zu schwärmen. Wie schön sie doch sei, und so gut eingerichtet, und booaaahh, und uuuhhhh, und MEGA! Ich finds ja toll, dass sie meine Wohnung so feiern, aber das ganze ooohh und ahhh irritiert mich dann doch ein wenig. Für ein Paar halte ich die Wohnung für zu klein, sind ja nur 2 Zimmer. Aber ich beschwere mich nicht, wenn sie es so toll finden. Sie wollten allerdings dann bis zum nächsten Wochenende überlegen, ob sie sich bewerben. Sie haben’s dann nicht getan.

Interessentin 3: Hund statt Kind – immerhin

Eine junge Frau ist auf der Suche nach einer neuen Bleibe und will sich meine Wohnung anschauen. Sie hat sich von ihrem Freund getrennt, wird schon gleich nach der Begrüssung klar. Die Trennung dürfte wohl noch nicht allzu lange her sein. Sie erklärt mir, dass sie ihre Beziehung wieder haben in Ordnung bringen wollen, indem sie sich einen Hund zulegten. Ja, besser ein Hund als ein Kind, sind wir uns einig. Doch anscheinend hat auch der Hund nicht geholfen. Ob der Kühlschrank ein Gefrierfach habe? Sie teile sich drum das Sorgerecht des Hundes mit dem ehemaligen Partner und müsse das Futter jeweils einfrieren können. Die junge Frau tut mir etwas leid. Allerdings habe ich auch das Gefühl, dass ich zu viele Informationen erhalten habe. Dass das die sechste Besichtigung an diesem Tag war, hatte sicherlich auch nicht geholfen.

Interessent 4: Ein guter Kerl, versprochen

Ein junger Mann aus dem Irak. Die Wohnung will er gar nicht wirklich sehen. Im Schlafzimmer will er mit mir über eine Bürgschaft reden. Er arbeite, habe ein festes Einkommen und brauche endlich eine eigene Wohnung, sagt er verzweifelt. Er wolle diese Wohnung unbedingt. Aus dem Schlafzimmer heraus bringe ich ihn allerdings nicht. Ob ich nicht bei der Verwaltung ein gutes Wort für ihn einlegen und für ihn bürgen könne. Er sei ein guter Kerl, versprochen. Auch wenn ich es nicht gut finde, dass korrekte Leute aus einem anderen Land weniger Chancen auf dem Wohnungsmarkt haben, lehne ich ab und rate ihm, alle Dokumente, die bezeugen, dass er ein guter Kerl ist, der Verwaltung mitzuschicken. Wie sich herausstellt, hat er einfach den Ausweis in der falschen Kategorie.

Interessentin 5: Eine Wohnung für mich und das Baby

Die junge Frau kommt alleine. Unter ihrer dicken und knielangen Winterjacke verbirgt sich ein grosser Babybauch. Ich hab irgendwie im Gefühl, dass das nichts wird. Ich begrüsse sie, bitte sie in die Wohnung. «Wie im Inserat geschrieben, ist die Wohnung per 1. April...», sage ich und beginne die Besichtigung. «Ach wirklich? Sind Sie sicher?» «Ja, ich bin sicher...» «Aber ich brauche sofort eine Wohnung für mich und das Baby, ich bin im siebten Monat schwanger!» «Tut mir leid, dann kann ich leider nicht helfen, die Wohnung ist per 1. April.» Schweigen. Sie zückt das Handy, will das Inserat aufrufen, um zu sehen, ob ich wirklich die Wahrheit sage. «Aber ich war sicher, dass die Wohnung per sofort war», sagt sie dann, als sie es nicht findet und das Handy wegpackt. Schweigen. Sie überlegt noch kurz, ob sie die Besichtigung trotzdem weiterführen soll, entschliesst sich aber dann, zu gehen.

Interessenten 6: Haben Sie hier Drogensüchtige?

Ein älterer Herr mit furchigem Gesicht und Raucherstimme und seine asiatische Partnerin schauen sich die Wohnung an und sind begeistert. Wow, ein grosses Schlafzimmer, wow, die Aussicht, wow, sogar eine richtige Küche! Dann fangen sie an, ein paar Fragen zu stellen. Wie oft denn die Polizei und Krankenwagen vor dem Haus seien, fragen sie mich. Etwas irritiert gebe ich zur Antwort, dass das in meinen vier Jahren in dieser Wohnung meines Wissens nie der Fall gewesen sei. «Und wie sieht es denn aus mit Drogensüchtigen? Machen die hier Probleme?» Ich stutze. Mit ungläubigem Blick gebe ich dieselbe Antwort wie vorhin. Ob man nachts denn schlafen könne, oder ob die ganze Nacht durch gelärmt werde. Langsam mache ich mir Sorgen über die Lebensumstände der beiden. Die Wohnung sei nicht so ringhörig und ich hätte nie Schlafprobleme gehabt, sage ich. Wow, denke auch ich dann zum Schluss.

Natürlich gab es noch weitere Interessenten, die sich die Wohnung angeschaut haben. Aber bei so vielen Besichtigungen in kurzer Zeit muss ich gestehen, dass mir abends jeweils der Kopf etwas geschwirrt hat und ich mich nicht mehr an alle Personen erinnern kann. Worüber ich mir allerdings Gedanken mache, ist die Frage, was wohl andere Vermieter gedacht haben, als mein Freund und ich durch deren Wohnung gestapft sind. Aber ja, vielleicht können auch die sich nicht mehr an uns erinnern.

(mao)

veröffentlicht: 12. März 2021 19:23
aktualisiert: 12. März 2021 20:14
Quelle: PilatusToday

Anzeige
Anzeige
redaktion@pilatustoday.ch