«Das Ständemehr gehört auf den Müllhaufen der Geschichte»
Quelle: Pilatus Today
Dass eine Vorlage am Ständemehr scheitert, aber vom Volk angenommen worden wäre, ist zwar keine absolute Neuheit – dennoch passiert es selten. Wie der Webseite des Bundes entnommen werden kann, kam es bisher erst neun Mal vor.
Zuletzt im März 2013 beim sogenannten Familienartikel, der Bund und Kantone verpflichtet hätte, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern. Davor war es über 20 Jahre nicht passiert. Im Juni 1994 wurden jedoch gleich zwei Vorlagen vom Volk angenommen, von den Ständen jedoch abgelehnt. Es handelte sich einerseits um eine erleichterte Einbürgerung für junge Ausländer und andererseits um einen Kulturförderungsartikel.
Erst die zweite Volksinitiative, in der die Regelung greift
Das allererste Mal wurde am 14. Januar 1866 eine Vorlage wegen des Ständemehrs abgelehnt, obwohl es vom Volk angenommen worden wäre. Bei der Vorlage ging es um Masse und Gewichte.
Brisant am gestrigen Abstimmungssonntag: Es war erst das zweite Mal überhaupt, dass eine Volksinitiative dieser Regelung von Volk- und Ständemehr zum Opfer fällt. Das erste Mal geschah dies 1955, als die Initiative «zum Schutz der Mieter und Konsumenten» vom Volk angenommen, von den Ständen jedoch abgelehnt wurde.
Noch seltener passiert es übrigens, dass Vorlagen von den Ständen angenommen, jedoch vom Volk abgelehnt werden. Dies ist in der Geschichte des Schweizerischen Bundesstaates sogar erst vier Mal passiert. Das erste Mal im Jahr 1910 und zuletzt im Jahr 2016 bei der Volksinitiative «Für Ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe».
Debatte zum Ständemehr
Die aussergewöhnliche Situation, dass die Kovi zwar vom Volk angenommen, von den Ständen aber abgelehnt wurde, wird die Diskussion um das Ständemehr befeuern. Die Juso-Chefin Ronja Jansen hat eine klare Meinung dazu.
Das Ständemehr gehört auf den Müllhaufen der Geschichte. #KVI #abst20
— Ronja Jansen (@RonjaJansen) November 29, 2020
Das sieht der Stv. Generalsekretär der CVP, Luca Strebel, etwas anders.
Das Ständemehr ist und bleibt ein wichtiges Element in unserer Demokratie. Es ist ein föderalistisches Korrektiv, ein Garant dafür, dass Verfassungsänderungen breit abgestützt sind. #Abst20
— Luca Strebel (@StrebelLuca) November 29, 2020
Der Historiker Philipp Sarasin treibt das Zahlenspiel auf die Spitze in seiner Wortmeldung auf Twitter. Wobei er sich im Eifer des Abstimmungsgefechts etwas verrechnet. Es sind nur 8 Standesstimmen, die 7,9 Prozent der Bevölkerung repräsentieren. Dennoch eindrücklich.
Das sind die Anteile der kleinsten Kantone an der Gesamtbevölkerung (in %):
— Philipp Sarasin (@Philipp_Sarasin) November 29, 2020
AI: 0,2
OW: 0,4
UR:0,4
NW: 0,5
GL: 0,5
AI: 0,6
JU: 0,9
SH: 1
ZG:1,5
SZ: 1,9
= 16 Ständestimmen (von 26) mit 7,9% der Bevölkerung. Das #Ständemehr sabotiert die Demokratie und blockiert die Schweiz. https://t.co/umQbwrbTcU
Das letzte Wort in der Debatte um das Ständemehr ist sicher noch nicht gesprochen. Jedoch schränkt der Politologe Andreas Ladner die Möglichkeit ein, dass sich am Ständemehr etwas ändern wird. Das Problem: Um eine Änderung des Ständemehrs herbeizuführen, braucht es in einer Abstimmung ... das Ständemehr.
(kra)