Boulevard-Birthday

70 Jahre Sex, Skandale und Schlagzeilen – die Bild-Zeitung feiert Geburtstag

· Online seit 24.06.2022, 11:07 Uhr
Die Boulevardzeitung «Bild» gehört zu Deutschland wie Berlin, Bier und Bundeskanzler. Heute feiert die auflagenstärkste Tageszeitung unseres nördlichen Nachbars ihren 70. Geburtstag. Wir blicken auf die Bild-Geschichte zurück und zeigen die grössten Aufreger rund um das Axel-Springer-Blatt.
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Die erste Ausgabe der «Bild» erschien am 24. Juni 1952 mit einer Gesamtauflage von immerhin schon 455'000 Exemplaren. Die Zeitung hatte vier Seiten und wurde gratis verteilt. Später kostete die Bild pro Exemplar 10 Pfennig. Inhaltlich gab es noch keine Skandale, dafür Fotos des Weltgeschehens, längere Bildunterschriften und drei Comic-Strips. Der Innenteil war gefüllt mit knappen Meldungen, Preisausschreiben, Horoskopen und Kurzgeschichten.

Gefahr für die Demokratie?

Es dauerte eines gutes Jahrzehnt, bis die Bild ins Visier der Öffentlichkeit rückte. Die wachsende Marktmacht begann in den 1960er Jahren Beobachter zu beunruhigen. Verschiedene Verleger unter massgeblicher Federführung von Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein beurteilten den Springer-Konzern als eine bedrohliche publizistische Monopolmacht.

Von der deutschen Bundesregierung wurde als Reaktion auf die Diskussion eine Pressekommission eingesetzt, um die Konzentration zu untersuchen. Die Kommission kam zu dem Urteil, dass durch den expansiven Springer-Konzern die Pressevielfalt und Pressefreiheit bedroht seien. Der Axel-Springer-Verlag stiess nach dem Urteil fünf seiner Zeitschriften ab.

Studierende vs. Bild

Seit Ende 1966 häuften sich die kritischen Kommentare der Bild-Zeitung gegenüber der protestierenden Studierendenschaft. Diese zunehmend verbal-aggressiven Anfeindungen führten bei den Studierenden zu einer stark emotionalen Unterfütterung ihrer Verurteilung des vermeintlichen Meinungsführers Springer.

Am 2. Juni 1967 wurde der Student Benno Ohnesorg in Berlin durch einen Polizisten erschossen. Dieses Ereignis liess den Konflikt eskalieren. Der Vorfall wurde vertuscht und die Studierenden wurden in der Bild nicht nur als Aggressoren dargestellt, sondern darüber hinaus in die Nähe terroristischer Vereinigungen gerückt oder mit den Nationalsozialisten gleichgesetzt. In einem Kommentar hiess es: «Studenten drohen: Wir schießen zurück».

«Bild schoss mit!»

Kaum ein Jahr später knallte es erneut. Am 11. April 1968 wurde der Studentenführer Rudi Dutschke von Josef Bachmann in Berlin angeschossen. Viele gaben der Bild-Zeitung und ihrer Berichterstattung über Dutschke und die Studentenbewegung eine Mitschuld an dem Attentat. «Bild schoss mit!», hiess es bei den Studierenden.

Es folgten schwere Unruhen in West-Berlin und anderen Städten. Demonstrierende versuchten das Springer-Haus in Berlin zu stürmen und setzten Bild-Lieferwagen in Brand. Die Hamburger Druckerei wurde belagert, um die Auslieferung der Zeitung zu verhindern, die Bild-Redaktion in München wurde von Studenten verwüstet.

Anschläge der RAF

Durch die Auseinandersetzung mit der Studentenbewegung 1968 und vielen Intellektuellen befand sich die Zeitung in den 1970ern im Zentrum der Kritik. Die Auflage ging um 1 Million Exemplare zurück. 1971 übernahm Günter Prinz die Chefredaktion der Bild. Mit einem „Mix aus Sex, Facts und Fiction, aus Politik, Verbrechen und Verbrauchertipps“ schaffte er es, die Auflage wieder auf über 4 Millionen zu steigern.

Am 19. Mai 1972 verübten Ulrike Meinhof und andere Terroristen der Roten Armee Fraktion (RAF) einen Bombenanschlag auf das Verlagshaus der Axel Springer AG in Hamburg. Es gab 38 Verletzte. In zwei Privathäusern von Verleger Axel Springer kam es im selben Jahr zu Brandanschlägen. Daraufhin wurden die Sicherheitsvorkehrungen in allen Bild-Redaktionen verstärkt.

Wallraffs Undercover-Recherchen

1977 arbeitete der Schriftsteller und investigative Journalist Günter Wallraff dreieinhalb Monate undercover als Lokalreporter für die Bild. Er veröffentlichte danach ein Buch, in dem er der Zeitung schwere journalistische Versäumnisse nachwies. Die Wallraff-Enthüllungen wurden zu einem der grössten Presseskandale der Bundesrepublik.

Noch bevor Wallraff sein Buch veröffentlichte, ging die Bild in die Offensive. In der Serie «Wallraff log…» wurden über seine Tätigkeit in der Bild-Redaktion berichtet. So seien etwa als Folge seiner Berichterstattung einer Frau die Kinder weggenommen worden. Ausserdem wurde er als Trinker dargestellt, der bereits morgens gläserweise Whisky konsumiere.

«Leserreporter» oder «Feierabend-Spanner»?

2006 forderte die Bild ihre Leser unter dem Projektnamen „BILD-Leserreporter 1414“ erstmals auf, „Schnappschüsse“ aktueller Geschehnisse einzuschicken. Das Nachrichtenmagazin Spiegel vermutete hinter den Einsendern abschätzig „Hobby-Knipser, Pseudo-Journalisten, Unfall-Gaffer und Feierabend-Spanner“, die FAZ fürchtete eine „flächendeckende Paparazzisierung der Gesellschaft“.

Die Zeitung zahlte für die Fotos insgesamt 2,3 Millionen Euro. Insbesondere diese Honorierung der Beiträge führt immer wieder zu Kritik. Der Zeitung wurde vorgeworfen, nicht oder mangelhaft auf rechtliche Belange hingewiesen zu haben. Bei Verkehrsunfällen und anderen Notfalleinsätzen kam es zu Störungen durch selbst ernannte Leserreporter. Im Dezember 2008 wurde von Lidl und Bild in einer Gemeinschaftsaktion Videokameras für Bild-Leserreporter angepriesen. Diese Aktion führte zu Diskussionen in den Medien.

Aufstieg und Absturz von Julian Reichelt

Die bisher letzte Bild-Affäre ist kaum ein Jahr her. Im März 2021 wurde bekannt, dass sich Chefredakteur Julian Reichelt wegen Vorwürfen des Machtmissbrauchs und der Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen gegenüber Mitarbeiterinnen einer Untersuchung im eigenen Haus stellen muss. Auf eigenen Wunsch hin wurde Reichelt bis zur Klärung der Vorwürfe befristet freigestellt. Knapp zwei Wochen später kehrte er nach Abschluss des Verfahrens zurück.

Am 18. Oktober 2021 wurde Julian Reichelt endgültig von seinen Aufgaben als Chefredakteur entbunden. Seiner Entlassung gingen Medienberichte, unter anderem in der New York Times, voraus, aus denen das Unternehmen „neue Erkenntnisse über das aktuelle Verhalten Reichelts“ gewonnen habe. Reichelt soll auch nach Abschluss des Verfahrens Privates und Berufliches nicht klar getrennt und dem Vorstand darüber die Unwahrheit gesagt haben.

Im Zusammenhang mit den Vorgängen wurde auch bekannt, dass es im Frühjahr möglicherweise zu einer Einflussnahme auf die Untersuchungen gekommen sei. So berichtete die The New York Times am Vortag der Entlassung Reichelts von einer Nachricht des Vorstandsvorsitzenden der Axel Springer SE, Mathias Döpfner, in der er Reichelts Berichterstattung und dessen kritische Auseinandersetzung mit den staatlichen Corona-Restriktionen lobte.

(osc)

veröffentlicht: 24. Juni 2022 11:07
aktualisiert: 24. Juni 2022 11:07
Quelle: Today-Zentralredaktion

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