Denn sie wissen, was sie tun

Amerikanische Bevölkerung spaltet im Herbst wohl den Kongress

02.11.2022, 09:32 Uhr
· Online seit 12.10.2022, 08:12 Uhr
In einem Monat finden in den USA die Midterms statt. Die Demokraten verlieren dabei wohl ihre Kongressmehrheit. Das hat Folgen für Präsident Joe Biden. Aber auch die Republikaner können sich nicht wirklich freuen. Wie es dazu kommt und warum Amerika ein gespaltenes Land bleibt.
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Joe Biden verzeichnete zuletzt mehrere Erfolge an verschiedenen Fronten. Er machte 375 Milliarden Dollar locker, um den Klimawandel zu bekämpfen und um die Gesundheitskosten zu senken. Dazu errang er einen wichtigen Teilerfolg bei der Verschärfung des Waffengesetzes. Mit seiner Sonnenbrille und seinem Zahnpastalächeln hat Biden manchmal etwas von einer Politpersiflage «Made in Hollywood». Jüngst wirkte er damit jedoch wie ein Siegertyp. Damit könnte es jetzt wieder vorbei sein. Es droht der berühmte Sturz des Ikarus nach dem Höhenflug. Denn Joe Biden hat ein Problem. Trotz seiner Erfolge bleiben seine Zustimmungsraten tief. Das hat verschiedene Gründe. Einer davon heisst Joe Biden.

Der alte Mann und das gespaltene Land 

Biden ist bald 80, älter als jeder US-Präsident im Amt vor ihm. Auch wenn er um jeden Preis versucht, jugendlich und lässig daherzukommen, kann er eine gewisse Betagtheit nicht verbergen. Er vergisst Namen, sucht verstorbene Mitarbeiter im Publikum, liest Anweisungen auf dem Telepromter vor – «repeat the line» – statt sie zu befolgen. Ein gefundenes Fressen für alle Republikaner, welche Biden gerne als «sleepy Joe» bezeichnen und seine Politik mit derjenigen eines Drittweltlandes vergleichen. Die Inflation war zuletzt so hoch, wie seit über 40 Jahren nicht mehr. Dieses Problem hat viele Väter; Corona-Pandemie, Krieg in der Ukraine, «shit not made in USA», wie ein Wutbürger aus West Virginia kürzlich in die Kameras von CNN brüllte.

Tatsächlich: Die Auswirkungen der Inflation treffen die US-Bürger wie ein Hurrikane, sind sofort spürbar. Die Benzinpreise steigen, die Lebensmittelpreise steigen. Das Leben wird teurer. Massiv teurer. Dem Ackerbauer in Iowa, dem Milchbauern in Colorado, dem Betreiber eines kleinen Lebensmittelladens in Kansas; ihnen allen ist es egal, welche enthusiastischen und zukunftsweisenden Dekrete Joe Biden unterschreibt. Wenn das Geld im Portemonnaie fehlt, ist der Schuldige im Weissen Haus zu suchen.

Im Mittleren Westen nichts Neues 

Das Beliebtheitsbarometer von Joe Biden ist zwar konstant, aber eben konstant tief. Der freie Fall konnte etwas gebremst werden, jedoch weist sein Rettungsschirm Löcher auf. Zuletzt waren nur 41 Prozent der Amerikaner mit Bidens Arbeit zufrieden. Und Wahltag heisst meist Zahltag. Bei den Zwischenwahlen (Midterms) wird dem US-Präsidenten mehr als nur ein Zeugnis ausgestellt. Am 8. November ist «high noon» im District of Colombia. Biden droht zur «lame duck» zu werden, zu einem Präsidenten ohne Mehrheit im Kongress. Ein Demografie- und Politproblem «made in USA». Die Demokraten haben das Pech, dass sie ungünstig über das ganze Land verstreut sind. In den einzelnen Staaten bekommt nämlich jener Kandidat alle Wahlmännerstimmen, der dort die Mehrheit erringt – egal wie knapp die Wahl ausfällt.

Während die Demokraten an den beiden Küsten und vor allem im Nordosten wohnen, sind die Republikaner gleichmässiger verteilt. Vor allem im Mittleren Westen, den Südstaaten und den Mountain States sitzen die Republikaner ziemlich fest im Sattel. Biden hofft also auf Patchwork-Wähler, eine Art unheilige Allianz, bestehend aus Sozialisten, Rostgürtel-Populisten, Kulturkritiker und Technokraten. Gruppierungen, die sich normalerweise gegenseitig bekämpfen und sich nur unter dem Motto «Der Feind meines Feindes ist mein Freund» verbünden.

Sinkende Umfragewerte 

Den widrigen Umständen zum Trotz versucht Biden wieder jene Wähler zu reaktivieren, welche ihm vor zwei Jahren zum Wahlsieg verholfen haben. Ein Unterfangen, das bislang noch nicht wirklich Früchte trägt. Die in den USA am schnellsten wachsenden Bevölkerungsgruppen wie Amerikaner asiatischer Herkunft, Latinos oder Afroamerikaner beförderten Biden vor zwei Jahren ins Oval Office. Jetzt sieht alles anders aus. Bei der Latinobevölkerung ist am besten ersichtlich warum. Ökonomisch ging es ihnen unter Donald Trump besser. Er habe bei der Bevölkerung den Unternehmensgeist beflügelt und das Selbstvertrauen gestärkt, argumentierenn die Einwanderer, die vor allem aus Kuba stammen. Anders ausgedrückt; niemand in Washington mischte sich in ihre Geschäfte ein. Besonders in Florida, dem Bundesstaat mit der meisten lateinamerikanischen Bevölkerung, boomten die Geschäfte. Dass Trump Nachahmer Ron DeSantis, seines Zeichens Sohn italienischer Einwanderer, als Gouverneur des Staates bei der hispanischen Bevölkerung äusserst beliebt ist, spielte Biden nicht gerade in die Karten.

Aber auch bei den Afroamerikanern sind Bidens Umfragewerte gesunken. Waren sie es noch die in den Swing States Georgia, Pennsylvania und Wisconsin das Zünglein an der Waage spielten, könnten sie nun dafür verantwortlich sein, dass die Demokraten die Mehrheit im Senat verlieren. Wie die von Armut geplagten Trumpisten im Mittleren Westen, spüren auch viele Afroamerikaner die Inflation. Meist Leben sie in sogenannten Section 8 Spaces, Sozialwohnungsblöcken am Strandrand grösseren Ballungsgebieten. Ihr Leben hat sich unter Biden nicht verbessert, die Kriminalität innerhalb der Community ist gestiegen. Sie sehen einen weissen Präsidenten, welcher Geld druckt. Geld, von dem sie aber nichts sehen. Deshalb gehören sie zu denjenigen Wählern, die eher auf einen Präsidentenwechsel tendieren, als dem Amtierenden eine zweite Chance zu geben.

Drohende Niederlage im Repräsentantenhaus

Bidens Worte das Land zu vereinen, haben sich als Utopie erwiesen. Das Problem hat sich mittlerweile noch verschärft. Migranten werden wie Vieh in Bussen von einem Staat in den andern geschickt, niemand will sie, die Politik schaut weg. Ein Problem, welches zwar nicht direkt von Biden erschaffen wurde, für dass er aber durch seine schlechte Asylpolitik an den südlichen Grenzen eine Mitschuld trägt. Egal, welchen Datengurus man glaubt, in allen Umfragen steht Biden schlecht da. Ob bei CNN, Fox oder MSNBC. Es würde an ein Wunder grenzen, wenn angesichts aller Vorhersagen die Demokraten die Kongressmehrheit halten könnten, trotz Bidens Sommerhoch.

Vor allem im Repräsentantenhaus kommt es vermutlich zu einer Niederlage mit Ankündigung. Wegen einer neuen Volkszählung bekommen gewisse republikanisch geprägte Staaten mehr Abgeordnete in der Grossen Kammer. So muss die Grand Old Party, wie die Republikanische Partei auch genannt wird, nur fünf Sitze für eine Mehrheit erobern. Das dürfte ihnen stand heute gelingen. Doch die republikanische Welle, die sich noch vor zwei Monaten in Windeseile aufbaute, ist längst abgeflacht. Von einem Erdrutschsieg oder Tsunami war die Rede. Auch von einer Mehrheit im Senat wurde gesprochen. Es wurde laut gejubelt unter den Trump Anhängern. Und jetzt einen Monat vor den Zwischenwahlen sieht es so aus, als würden die Demokraten wenigstens den Senat verteidigen können. Schuld an der republikanischen Misere hat ausgerechnet der Mann, der Biden in zwei Jahren noch einmal Paroli bieten möchte; Donald Trump.

Und täglich grüsst der Milliardär 

Zugegeben: In letzter Zeit ist es um den ehemaligen Präsidenten etwas ruhiger geworden. Doch könnte dies auch nur die bekannte Ruhe vor dem Sturm sein. Klar ist aber, die Republikaner bluten. Es sind Wunden, die sie sich selbst zugefügt haben. Im Senat haben Republikaner und Demokraten derzeit beide 50 Sitze. Bei einem Patt fällt Vizepräsidentin Harris den Stichentscheid. Die Republikaner müssten also nur einen Sitz dazugewinnen, um eine hauchdünne Mehrheit zu haben. Doch schiessen die sich ins eigene Bein, indem Donald Trump die Geschicke der Partei kontrolliert und Kandidaten unterstützt, die zu seiner Fanbase gehören.

Dazu gehören der Afroamerikaner und ehemaliger Football Star Herschel Walker, der im Swing State Georgia antritt. Ein Mann mit hohem Bekanntheitsgrad, aber wenig politischem Knowhow; oder auf Amerikanisch: «A celebrity with no political pedigree!» In Pennsylvania weht derselbe Wind, aus republikanischer Sicht wohl eher ein Lüftchen. Der bekannte Fernsehdoktor und Trump-Anhänger Mehmet Oz kämpft hier gegen politerfahrene Widersacher wie John Fetterman und auch Josh Shapiro.

Mehr Fluch als Segen

Ein weiteres Problem sind Trumps Bundesrichter. Indem sie die Grundsatzentscheidung «Roe vs. Wade» kippten, also das Recht auf Abtreibung auf Bundesebene verboten, mobilisierten sie viele eingerostete demokratische Wähler, die sich aus den Liegestühlen ihrer Gärten erhoben haben, um an die Urne zu gehen. Nicht nur das. Die Zahl der Wählerregistrierungen auf demokratischer Seite schossen in die Höhe, besonders bei jungen Frauen.

Für die Republikaner kommen weitere schlechte Nachrichten hinzu. Nach einjähriger Sendepause katapultierte sich Trump wieder in die Öffentlichkeit, und dies im negativen Sinne. So ist Trump derzeit mehr Fluch als Segen für seine Partei. Die Seifenoper rund um die Stürmung seines Anwesens Mar-a-Lago in Palm Beach hat den Fokus der Republikaner auf die Zwischenwahlen beeinflusst. Statt mit Wahlpropaganda über Inflation und steigender Kriminalität hausieren zu gehen, müssen sich die Republikaner nun um Kopf und Kragen reden, wie es sein konnte, dass ihr einstiger Präsident im grossen Stil zu Hause geheime Dokumente bunkerte. Nicht mal bei Nixon fand eine Hausdurchsuchung statt, und das will was heissen. Schließlich war Tricky Dick nach der Watergate-Affäre der Buhmann einer ganzen Nation.

Das grosse Fiasko wird am 8. November also ausbleiben. Die Demokraten werden die Mehrheit im Senat verteidigen können. Und Joe Biden wird wohl als Kandidat 2024 kaum mehr umstritten sein. Er hat Stehaufmännchen-Qualitäten bewiesen und darf auf eine fünfzigjährige Politkarriere zurückblicken, die seinesgleichen sucht. Den Republikaner winkt die Mehrheit im Repräsentantenhaus. Trump darf jubeln. Mit einem gespaltenen Kongress wird es für Biden kaum möglich sein, seine Gesetzesvorhaben durchzubringen. Klar ist aber, dass die Republikaner auch den Senat unter ihre Kontrolle bringen wollten, mit Ausblick auf die Wahlen 2024. Dies wird nicht geschehen. Doch bis dahin drohen den USA eine handlungsunfähige Regierung, mit zwei Politikern an den Parteispitzen, die eigentlich 2024 zu alt für eine erneute Kandidatur sind. Aber eben; totgeglaubte leben länger. Das gilt sowohl für Biden als auch Trump.

(Pascal Meister)

veröffentlicht: 12. Oktober 2022 08:12
aktualisiert: 2. November 2022 09:32
Quelle: Today-Zentralredaktion

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