Menschenrechte

«Die Zahl an Hinrichtungen weltweit ist sehr beunruhigend»

· Online seit 16.05.2023, 13:45 Uhr
Auf der ganzen Welt gab es im vergangenen Jahr so viele Hinrichtungen wie seit fünf Jahren nicht mehr. Weshalb ist das so? Und wie erhält man die Zahlen aus China, die unter Verschluss gehalten werden? Patrick Walder, Kampagnenleiter bei Amnesty International, erklärt den Rapport.
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883 Hinrichtungen dokumentiert Amnesty International für das Jahr 2022. Im Iran ist die Zahl der erfassten Hinrichtungen in einem Jahr von 314 auf 576 gestiegen, in Saudi-Arabien von 65 auf 196 und in den USA von 11 auf 18. Auch in weiteren Ländern hat es eine starke Zunahme gegeben. Weshalb?

Eine politische Waffe, um Minderheiten zu steuern

Für Patrick Walder, Kampagnenleiter bei Amnesty International, gibt es vor allem zwei Gründe. Einer davon sei, dass Länder wie Iran die Todesstrafe oder Hinrichtung als politische Waffe der Repression einsetzen. «Es gibt im Iran seit dem September eine grosse Protestbewegung. Das Regime hat schon sehr oft in solchen Situationen Hinrichtungen als politische Waffe eingesetzt, um die Opposition einzuschüchtern.» So würden Minderheiten davon abgehalten, auf die Strasse zu gehen und zu protestieren.

Der zweite Grund liege darin, dass die Todesstrafe sehr oft bei Drogendelikten eingesetzt werde – obwohl das nach internationalem Recht gar nicht zulässig ist. «Wenn man die Todesstrafe einsetzt, dann sollte sie nur für schwerste Verbrechen wie Mord oder absichtliche Tötung eingesetzt werden», erklärt Walder. In verschiedenen Ländern, darunter Iran und Saudi-Arabien, haben Hinrichtungen dennoch wegen Drogenschmuggel und ähnlichen Delikten stark zugenommen. Insgesamt machen sie 40 Prozent aller Hinrichtungen aus.

«Es sind zum Teil absurde Delikte»

Laut Walder sind Hinrichtungen im Bereich der Drogendelikte ein Zeichen der gescheiterten Politik der Prohibition – des Drogenverbots. «Man versucht, mit immer verzweifelteren Massnahmen gegen Drogenkonsum und Drogenhandel vorzugehen.» Personen, die Drogen schmuggeln, seien oft solche, die sozial benachteiligt sind und dies tun, um zu überleben. «Diese sind so von der unmenschlichen Strafe betroffen.»

Auch wegen Terrorismus oder Gotteslästerung kommt es in Ländern – meist im Nahen Osten und Nordafrika – zur Todesstrafe. «Das sind zum Teil absurde Delikte, bei denen die Strafe eingesetzt wird», sagt Walder. Warum genau im letzten Jahr die Zunahme so gross war, sei schwierig zu erklären. Was gemäss dem Menschenrechtsexperten klar ist: «Es ist beunruhigend und sollte zu denken geben.»

Der Trend zeigt zur Abschaffung der Todesstrafe

Zu den dokumentierten 883 Hinrichtungen kommen noch Tausende aus China dazu, die unter Verschluss gehalten werden. Amnesty rapportiert seit mehreren Jahren keine Zahlen mehr aus diesem Land, weil sie nicht zuverlässig sind. Wie kann man die Zahlen dennoch einschätzen? «Es ist sehr schwierig», so Walder. China betrachte die Todesstrafe als Staatsgeheimnis und gebe keine offiziellen Zahlen an.

Einschätzungen könne man durch Medienberichte und Social Media oder durch Familienangehörige und Anwälte machen. «Das ist immer schwieriger geworden über die letzten Jahre, weil die Medien zunehmend kontrolliert werden durch den Staat. Auch Social Media wird überwacht.» So sei die reale Zahl sehr viel höher als das, was man in der Öffentlichkeit erfahren kann. «Man kann mit Sicherheit sagen, dass es tausende Hinrichtungen und tausende Todesurteile pro Jahr sind.»

Es gibt auch eine gute Nachricht. Sechs Länder haben die Todesstrafe letztes Jahr abgeschafft oder wichtige Schritte dahin gemacht. Das bestätige den globalen Trend zur Abschaffung der Todesstrafe, sagt Walder. «Wir haben jetzt einen relativ kleinen Kreis von Staaten, die Hinrichtungen durchführen. Letztes Jahr waren es 20 Länder.» Das seien «nur noch» etwa zehn Prozent der Länder weltweit. «Wir hoffen, dass auch diese sich auf den Weg zur Abschaffung der Todesstrafe begehen.»

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veröffentlicht: 16. Mai 2023 13:45
aktualisiert: 16. Mai 2023 13:45
Quelle: Today-Zentralredaktion

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