Es war bereits die dritte Protestnacht in Folge nach der Präsidentenwahl am Sonntag. Die Polizei setzte wieder Blendgranaten und Gummigeschosse gegen Demonstranten ein, wie Videos zeigten. Diese wehrten sich mit Steinen und Flaschen und bauten vereinzelt Barrikaden auf. Explosionen waren zu hören. Die Zahl der Verletzten war zunächst nicht bekannt. Am Dienstag sprachen die Behörden in Minsk von 200 Verletzten, die im Krankenhaus behandelt würden.
Nach Einschätzung von Beobachtern gingen die Sicherheitskräfte diesmal härter gegen Demonstranten vor als in den Nächten zuvor. Viele Strassen in Minsk waren abgeriegelt. Zu hören war auch, wie Autos als Zeichen des Protestes hupend durch die Stadt fuhren.
Hunderte Menschen beteiligten sich erneut in mehreren Städten des Landes an den Aktionen gegen Wahlfälschung. Ein genauer Überblick war zunächst schwierig, weil es in Belarus wieder erhebliche Probleme mit dem Internet gab. Die Behörden wollen mit dieser Taktik verhindern, dass sich Demonstranten vernetzen. Telegram-Gründer Pawel Durow schrieb auf Twitter, dass Programme gegen Netzsperren aktiviert worden seien, damit Telegram für möglichst viele verfügbar bleibe.
Wie viele Menschen in Polizeigewahrsam kamen, war zunächst unklar. Medien berichteten, dass auch Journalisten festgenommen worden seien. Die Rede war von massiver Gewalt gegen Reporter und Fotografen - auch gegen Journalisten, die in Belarus offiziell akkreditiert sind. Der britische Sender BBC in Russland berichtete, dass ein Filmteam von Sicherheitskräften angegriffen worden sei.
Die Proteste in dem Land zwischen Russland und EU-Mitglied Polen brachen nach Ende der Wahl am Sonntagabend aus. Die Wut vieler Menschen richtet sich gegen Staatschef Alexander Lukaschenko, der sich nach 26 Jahren im Amt an seine Macht klammert. Er drohte mehrfach mit dem Einsatz von Militär. Insgesamt wurden mit Stand Dienstag bislang mehr als 5000 Menschen festgenommen.
Das Aussenministerium in Minsk wies am Abend Kritik aus dem Ausland am Vorgehen des Machtapparats gegen Demonstranten zurück. Die schnellen Erklärungen zahlreicher europäischer Politiker seien absolut inakzeptabel. «Es ist bereits geplant, schicksalhafte Entscheidungen für die Beziehungen unseres Landes mit der EU zu treffen», hiess es der Staatsagentur Belta zufolge.
Die EU kündigte indes an, die Beziehung zu Belarus gründlich zu überprüfen. «Dies könnte unter anderem beinhalten, Massnahmen gegen jene zu ergreifen, die verantwortlich für die beobachtete Gewalt, ungerechtfertigte Verhaftungen und die Fälschung der Wahlergebnisse sind», sagte EU-Aussenbeauftragter Josep Borrell im Namen der 27 Staaten. Allerdings hatte sein Sprecher zuvor bereits darauf verwiesen, dass für Sanktionsbeschlüsse die Zustimmung aller EU-Mitgliedsländer gebraucht wird.
Auch aus Deutschland kam mehrfach die Forderung nach Strafmassnahmen. «Wenn das nicht sofort endet, müssen EU-Sanktionen her», sagte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil der «Welt» (Mittwoch). Das Auswärtige Amt in Berlin aktualisierte derweil seine Reisehinweise für Belarus. Es empfahl, Demonstrationen und grössere Menschenansammlungen zu meiden. In weiten Teilen des Landes sei zudem kein Internetzugang mehr möglich.
Am Dienstag war die Lukaschenko-Gegnerin Swetlana Tichanowskaja nach Litauen ausgereist. Ihre Mitstreiterin Veronika Zepkalo forderte am Abend den Westen auf, die 37-Jährige als Präsidentin anzuerkennen. «Ich appelliere an die Weltgemeinschaft: Bitte helfen Sie, den Wahnsinn in Belarus zu stoppen.»
Maria Kolesnikowa vom Wahlkampfstab Tichanowskajas sagte dem «Spiegel» (Online), dass Mitglieder von Wahlkommissionen, die ehrlich ausgezählt hätten, nun unter Druck stünden, ihre Arbeit zu verlieren. «Wir versuchen, neue Jobs für sie zu finden.» Derzeit werde auch eine Gruppe Freiwilliger aufgebaut, die nach Menschen suchten, die bei den Protesten verschwunden seien und wohl im Gefängnis sässen.