Ist das Trinkgeld in Gefahr?
Es war bis anhin eine ungeschriebene Regel: Nach einem stimmigen Restaurantbesuch gibt man entsprechend Trinkgeld. Gemäss einer neuen Studie der Bank Cler steht es aber nicht gut um die Zukunft des finanziellen Zustupfs, wie das Online-Portal «zentralplus» berichtet. «Die Trinkgeld-Kultur droht schleichend abzunehmen», schreibt die Bank.
Aus der Medienmitteilung der Bank Cler lassen sich zwei Kernaussagen herauslesen: Einerseits bedrohen die zunehmenden Kartenzahlungen die Trinkgelder, andererseits gibt es einen Generationen-Graben: Junge Menschen seien weniger grosszügig als ältere Generationen.
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Mit Bargeld gibt man eher Trinkgeld
Zahlt man bar, rundet man eher auf den nächsthöheren Betrag auf als mit Kartenzahlung. Etwa, indem man dem Servicepersonal Banknoten und Münzen in die Hand drückt und sagt: «Das ist so in Ordnung». Die Umfrage der Bank hebt zudem einen weiteren Punkt hervor: Viele Gäste befürchten bei Kartenzahlungen, dass das Geld nicht bei der «richtigen Person» ankommt. 60 Prozent der Befragten geben das Trinkgeld daher lieber in bar.
Trotzdem kommt das Trinkgeld durch die vermehrten Kartenzahlungen unter Druck. Darunter leiden besonders die einfachen Angestellten, denn in einer Tieflohnbranche wie der Gastronomie ist das Trinkgeld ein wichtiger finanzieller Zuschuss.
Tragen die Menschen in Zeiten der Digitalisierung überhaupt noch Bargeld bei sich? Wir haben auf den Luzerner Strassen nachgefragt.
Quelle: PilatusToday/Andreas Wolf
«Bei uns gilt immer noch: Bares ist Wahres»
Rafael Wicki, Wirt im Restaurant Rössli in Schwarzenberg, glaubt nach wie vor an das Bargeld. «Bei uns gilt der Grundsatz ‹Bares ist Wahres›.» Die Service-Angestellten von Wicki dürfen ihr ganzes Trinkgeld behalten, die Küchenangestellten erhalten einen entsprechenden Fixbetrag. Viele Restaurantgäste im Restaurant Rössli zahlen auch nach wie vor mit Bargeld.
Im Restaurant FED in Luzern kann man Bar, per Kreditkarte oder per Twint bezahlen. Simon Tanner, Inhaber und Küchenchef FED Luzern, ist nach wie vor vom Bargeld überzeugt: «Ich finde, dass man Bargeld in gewissen Bereichen abschaffen kann, aber sicher nicht in der Gastronomie. Bargeld ist nach wie vor ein starkes Zahlungsmittel.»
Viele Gäste denken denn auch, dass sie nur mit Bargeld Trinkgeld geben können. Das ist falsch, wie Famara Parzermair, Servicemitarbeiterin im FED Luzern, gegenüber PilatusToday und Tele 1 richtigstellt: «Viele Gäste wissen gar nicht, dass sie bei uns auch per Kartenzahlung Trinkgeld geben können. Vielleicht denken sie auch, dass es gar nicht bei uns Angestellten ankommt.»
Familie Wiesner Gastronomie: Mit bargeldlosem System zu voller Transparenz
Ein Gastronomieunternehmen, das bereits viel mit bargeldlosen Zahlungen arbeitet, ist die Familie Wiesner Gastronomie. Das Unternehmen besitzt mehrere Lokale in der Zentralschweiz, so zum Beispiel das Restaurant Negishi in Luzern oder das Restaurant Nooch in der Mall of Switzerland in Ebikon. «Bargeld wird bei uns fast nicht mehr als Zahlungsmittel gebraucht», sagt Manuel Wiesner, Geschäftsführer der Familie Wiesner Gastronomie.
Im Herbst 2023 stellt das Unternehmen ganz auf das System «cashless» um. Mit dem neuen System wird jedem Mitarbeiter das Trinkgeld alle zwei Wochen ausbezahlt. «Es ist uns sehr wichtig, dass das Trinkgeld wirklich direkt zum Mitarbeitenden geht», sagt Wiesner. Mit dem neuen bargeldlosen System soll volle Transparenz gewährleistet werden. «So kann man täglich sehen, welche Mitarbeitenden wie viel Trinkgeld gemacht haben. Das ist unseren Mitarbeitenden ein extrem grosses Anliegen.»
Wieso stellt das Unternehmen überhaupt auf bargeldlose Zahlungen um? «Weniger als fünf Prozent aller Zahlungen werden bei uns mit Bargeld getätigt. Der Aufwand dafür ist nicht mehr verhältnismässig», so Wiesner. «Das neue System hat zahlreiche Vorteile: Unsere Mitarbeitenden haben viel mehr Zeit für den Gast. Fehler können durch ein bargeldloses System viel mehr verhindert werden. Und es gibt eine höhere Transparenz beim Verteilen des Trinkgeldes.»
Ob die Mitarbeitenden mit dem vollkommen bargeldlosen System weniger Trinkgeld erhalten, kann Manuel Wiesner aber nicht beantworten.
Wieso geben wir überhaupt Trinkgeld?
Nach einer Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) gibt es verschiedene Gründe, um Trinkgeld zu geben: Um sich beim Servicepersonal für die Bedienung zu bedanken, weil das Servicepersonal einen tiefen Lohn hat und auf das Trinkgeld angewiesen ist. Aber auch, weil man sich gut fühlt, wenn man jemandem eine Freude bereiten kann. Zudem spielt auch die soziale Gepflogenheit eine Rolle: Ein Drittel aller befragten Personen geben Trinkgeld, weil es sich ihrer Meinung nach in der Schweiz so gehört.