Mitarbeiter entlassen sich selbst

Globetrotter-Chef: «Mit diesen Reaktionen habe ich gerechnet»

26.08.2020, 05:56 Uhr
· Online seit 25.08.2020, 15:31 Uhr
Nachdem das Reiseunternehmen Globetrotter gestern bekannt gab, dass seine Mitarbeiter selbst entscheiden sollen, wer das Unternehmen verlässt und wer bleiben darf, gab es von vielen Seiten Fragen und Kritik. CEO Dany Gehrig verteidigt den unkonventionellen Führungsstil.
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«Soziokratie» nennt sich die innovative Organisationsform, die das Reisebüro im Januar eingeführt hat. Das Ziel einer Soziokratie ist es, Organisationen zu schaffen, die in der Lage sind, sich selbst zu führen. In Krisen, wie sie aktuell in der gesamten Branche herrscht, heisst dies für die Mitarbeiter: Sie bestimmen, wer bleiben darf und wer geht.

PilatusToday sprach mit dem Globetrotter-Chef über seinen Entscheid, über die Reaktionen der Mitarbeiter und was dies für den Standort Luzern bedeutet.

Herr Gehrig, Sie kommen gerade von einer Wahl, bei der sich Mitarbeiter um die eigenen Jobs bewerben und wählen, wem gekündigt wird und wem nicht. Wie ist es gelaufen?

Dany Gehrig: Ich kann sagen, dass es ein sehr erfolgreiches Gespräch war. Das Team hat gemeinsam eine Lösung präsentiert und vorgeschlagen, dass alle Mitarbeiter nächstes Jahr unbezahlte Ferien nehmen. Dadurch können alle Mitarbeiter weiterhin bei uns beschäftigt bleiben, die sich für eine Wahl vorgeschlagen haben. Dies freut mich für unsere langjährigen Mitarbeiter sehr.

Wie muss man sich diese Wahlen vorstellen?

Basierend auf unseren Prognosen, die grosse Umsatzeinbussen in diesem und im nächsten Jahr vorsehen, mussten die Filialleiter darlegen, wie viele Mitarbeiter die Filialen künftig benötigen und, ganz wichtig, welche Fähigkeiten und Stärken die Mitarbeiter mitbringen müssen. Daraus sind Stellenprofile entstanden, für die sich die Mitarbeiter auf eine Nominationsliste setzen können. Dann wird in den Filialen gewählt.

Was passiert mit der Filiale in Luzern?

Auch in Luzern gelten die gleichen Vorgaben. Die Filialleitung hat sich dazu entsprechende Gedanken gemacht und Vorschläge ausgearbeitet. In Luzern finden die Wahlen erst nächste Woche statt, daher können wir dazu noch keine näheren Angaben machen.

Können die Mitarbeiter nicht einfach die Chefs rauswählen und sich selbst wählen?

Auch die Filialleiterinnen und Filialleiter werden neu gewählt. Aber nicht von den Mitarbeitern, sondern im Kreis der Filial- und Verkaufsleiter.

Wie viele Stellenprozente fallen in Luzern weg?

Es gibt keine Vorgaben, wie viele Federn eine Filiale lassen muss. Jede Filiale rechnet selber vor, wie sie künftig wirtschaften will. Dies lässt Spielraum für kreative Lösungen. Zum Beispiel anderswo zu sparen, unbezahlte Ferien zu nehmen oder die eigene Stelle mit einem anderen Kollegen zu teilen.

Warum kommt dieses Experiment Soziokratie gerade jetzt?

Wir haben die Einführung bereits im Januar beschlossen. Als die Coronakrise kam, haben wir hinterfragt, ob dies nach wie vor der beste Entscheid ist. Davon waren wir schlussendlich auch  überzeugt. Uns war von Anfang an klar, dass Soziokratie nicht jede Kündigung verhindern kann. Zwei Mitarbeiter, die uns leider verlassen mussten, haben mir mitgeteilt, wie dankbar sie über diesen Prozess waren. Er half ihnen zu verstehen, warum es für sie in Zukunft nicht mehr reicht.

Was passiert, wenn zwei Mitarbeiter gegeneinander stimmen, aber schlussendlich beide im Unternehmen bleiben? Ist das Betriebsklima dann nicht ruiniert?

Das glaube ich nicht. Vor den Wahlen werden die Anforderungen an eine Stelle sehr klar definiert. Danach geht es darum, transparent zu machen, wer der beste Kandidat oder Kandidatin für eine Stelle ist. Dabei geht es nicht darum, gegen oder für eine Person zu stimmen, sondern um die gemeinsame Sache. Ich bin bei diesen Wahlen als Moderator mit dabei und stelle das sicher.

Manche würden sagen: Genau in solchen Krisenzeiten muss ein Management Führungsstärke beweisen und Entscheidungen treffen können. Sie delegieren die Entscheidung jetzt an die Mitarbeiter. Was sagen sie diesen Leuten?

Mit solchen Meinungen habe ich gerechnet. Ich kann verstehen, dass diese Form der Führung in der Schweiz noch unbekannt ist und falsche Vorstellungen weckt. Es ist nicht so, dass ich den Mitarbeitern sage: «Macht, was ihr wollt.» Auch wir als Geschäftsleitung haben viel entschieden, indem wir die richtigen Rahmenbedingungen für diese Wahlen schufen. Die Mitarbeiter haben mir gezeigt, dass sie diese Form von Führung mehr schätzen als eine Liste, welche Mitarbeiter in der nächsten Viertelstunde den Schreibtisch räumen müssen.

veröffentlicht: 25. August 2020 15:31
aktualisiert: 26. August 2020 05:56
Quelle: PilatusToday

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