«Jeder Riss ist einer zu viel» – Herdenschutzberater zur Wolfssituation
PilatusToday: Blicken wir auf die Zahlen der Wolfsrisse im laufenden Jahr. Wie alarmierend ist die Situation?
Dieter von Muralt: «Grundsätzlich ist jeder Riss einer zu viel. Man muss das aber differenziert betrachten. Wie gross ist der Druck und wie viele Wölfe streifen in dem Gebiet umher? Wie viele Abwehrmassnahmen werden angewendet? Das sind alles Faktoren, die diese Entwicklung beeinflussen. Daher ist es schwierig einzuschätzen, woran es liegt. Klar ist aber: Je besser die Herdenschutzmassnahmen sind, desto mehr Risse kann man abwenden.»
Kann man also überspitzt sagen, die betroffenen Landwirte sind selbst schuld?
«Selbst schuld? Nein, das würde ich definitiv nicht sagen. Klar, einige machen die Hausaufgaben besser als andere und lernen etwas schneller. Aber man muss auch sehen, dass die Kredite für Schutzmassnahmen im Kanton Luzern Ende Mai schon aufgebraucht waren. Nicht alle, die finanzielle Unterstützung beantragt haben, bekamen auch welche. Will ich mir das als Landwirt selbst finanzieren, wenn es mein Nachbar nicht musste? Dann spielt man vielleicht ein Jahr russisches Roulette und beantragt erst im nächsten Jahr wieder den Kredit für die Massnahmen.»
Müsste man also für mehr Herdenschutz die Unterstützung für die Landwirtschaft erhöhen?
«Das muss die Politik entscheiden. Natürlich ist es einfacher, für den Herdenschutz zu motivieren, wenn es Unterstützung gibt. Kredite machen das einfacher. Aber es ist eine politische Frage, die ich so nicht beantworten kann. Ich muss mit den Mitteln arbeiten, die mir die Politik zur Verfügung stellt.»
Ändert die Revision des Jagdgesetzes etwas an Ihrer Arbeit?
«Nein, nicht unbedingt. Die drei umherstreifenden Wölfe in Luzern dürfen nach wie vor nicht abgeschossen werden, sofern sie keinen Schaden in geschützten Herden anrichten. Aber klar ist, Herdenschutz ist notwendig, solange es Wölfe gibt – und die Ausrottung der Wölfe steht momentan gar nicht zur Diskussion.»
Wie sieht ein wolfssicherer Schutz aus?
«Absolute Sicherheit vor dem Wolf gibt es nicht. Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) definiert, was als sicher gilt. Das ist konkret gesagt ein mindestens 90 cm hoher Zaun, bestehend aus vier Litzen. Die unterste Litze darf nicht mehr als 20 cm über dem Boden sein und muss mindestens 3000 Volt Spannung haben. Ab da gilt die Herde als gut geschützt. Aber auch dann heisst es: je mehr, desto besser. Man kann noch besser zäunen, mit Herdenschutzhunden ergänzen und so weiter.»
Wie ist ihre Stimmung, wenn Sie an die neun bisher gerissenen Tiere im Kanton Luzern denken?
«Weder gut noch schlecht. Wo es Wölfe hat, wird Fleisch gefressen. Und wenn es noch ungeschützte Herden gibt, werden die Angriffe wohl mehrheitlich in ungeschützten Herden stattfinden. Ich finde es schade, wenn Leute denken, sie müssen keine Massnahmen ergreifen. Aber denken Sie an einen Bauern im Talgebiet. Erstmals drängte der Wolf so weit ins Mittelland vor. Die denken sich: Vielleicht kommt ein Wolf – wahrscheinlich aber nicht. Kommt einer, hoffe ich halt, dass er nicht bei mir zuschlägt. Der Aufwand für Herdenschutz ist nicht zu unterschätzen. Für Herdenschutz auf Vorrat sind die Leute schwer zu motivieren. Dafür habe ich ein gewisses Verständnis. Obwohl mittlerweile alle wissen sollten, dass Herdenschutz das Risiko von Wolfsrissen reduziert.»