Zentralschweiz
Luzern

Krebsdiagnose bei Kindern: Die Integration in die Schule ist schwierig

Kampagne will helfen

«Das Verständnis sinkt mit der Zeit»: Betroffene erzählt von der Schulzeit mit Krebs

· Online seit 20.11.2023, 19:31 Uhr
Die Schule spielt eine ganz besondere Rolle für krebskranke Kinder. Doch die Unterstützung in der Schule lässt nach, je länger die Krankheit andauert. Das hat unschöne Folgen für die Betroffenen. Der Dachverband Kinderkrebs Schweiz hat nun eine Kampagne gestartet, um die Menschen auf dieses Problem zu sensibilisieren.
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Mit 15 Jahren erkrankte Julia Niederberger aus Luzern an Knochenkrebs. Der Tumor hatte sich im linken Oberschenkel abgesetzt. Vom einen Tag auf den anderen wurde sie aus ihrer Klasse, ihrem gewohnten Alltag gerissen. Den Wiedereinstieg in die Schule konnte sie nach über einem Jahr Chemotherapie meistern. Der Weg dorthin war aber alles andere als leicht.

Unterstützung lässt mit der Zeit nach

Als Julia die Diagnose bekam, war sie in der dritten Sekundarstufe. Trotzt der Krankheit schaffte Julia den Übertritt in das Kurzzeitgymnasium. Zu Beginn sei die Unterstützung gross gewesen. Auch beim Übertritt wurde sie von den Lehrpersonen und der Schulleitung unterstützt.

Irgendwann seien die Haare wieder nachgewachsen und sie sei auch nicht mehr auf Krücken angewiesen gewesen – von aussen war der Krebs nicht mehr sichtbar. «Das Verständnis sinkt mit der Zeit immer mehr. Das macht man nicht absichtlich, aber als betroffene Person merkt man das», erzählt Julia gegenüber PilatusToday und Tele 1.

Aus den Augen aus dem Sinn – auch bei Krebskranken

Die Folge: Julia fühlte sich in gewissen Situationen benachteiligt. An einige bestimmte kann sie sich noch erinnern: «Das Absenzwesen hat für mich genau gleich gegolten wie für alle anderen, obwohl ich viel mehr Arzttermine wahrnehmen musste.» Auch ein Nachteilsausgleich im Gymnasium war für sie nicht möglich. Julia erzählt: «Nach der Therapie ist die Aufmerksamkeitsfähigkeit etwas kleiner.» Schnell war klar, dass das schwer sei, denn es passe nicht in einen «Katalog» rein, denn es sei halt kein ADHS oder keine Legasthenie. «Dort habe ich schon gemerkt, dass es mit der Unterstützung schwierig ist», fährt sie fort.

Die Schule als vertraute Umgebung 

Um genau in solchen Schicksalsschlägen mehr Unterstützung bieten zu können, hat der Dachverband «Kinderkrebs Schweiz» am vergangenen Freitag eine Kampagne lanciert. «Je länger die Krankheit und die damit verbundenen Absenzen dauern und je schwächer die Bindung zwischen dem Kind, den Lehrpersonen und der Klasse wird, desto mehr lässt die Unterstützung nach», lässt sich die Fachpsychologin Barbara Kohler zitieren.

Das Ziel ist es, die Schulen und Lehrpersonen auf den Umgang mit krebskranken Kindern zu sensibilisieren. Denn da sieht der Verband noch viel Verbesserungspotenzial. Die Folgen, die mangelndes Verständnis für die Situation auslösen, sind vielseitig und schwerwiegend.

Die Schule in einer vertrauten Umgebung gibt den von Krebs betroffenen Kindern eine gewisse Stabilität, Zugehörigkeit und macht Hoffnung auf ein Leben nach der Krankheit. Insbesondere Freundschaften im schulischen Kontext wirken sich positiv auf ihr seelisches Wohlbefinden und dadurch auch auf den Heilungsprozess aus, schreibt der Verband Kinderkrebs Schweiz in einer Medienmitteilung.

Spätfolgen fast nicht erkennbar – für Aussenstehende

Gelingt die Rückkehr in die Schule nicht, können die abgebrochenen Schullaufbahnen oder unerfüllten Berufswünsche bei den krebskranken Kindern Folgen wie Angstzustände, Depressionen oder Vereinsamung haben. Deshalb sei es wichtig, dass klare Richtlinien im Umgang mit krebskranken Kindern geschaffen werden, damit diese den Anschluss nicht verlieren würden, schreibt der Verband weiter.

Der Kanton Luzern unterstützt die Lehrpersonen

«Jedes Kind sollte da abgeholt werden, wo es steht», erklärt Martina Krieg, Leiterin Dienststelle Volksschulbildung Kanton Luzern. Die Kinder, welche sich von einem Tumor erholen, hätten ganz besondere Bedürfnisse. Auf diese gilt es zu Rücksicht zu nehmen: «Ich hoffe, dass unsere Lehrpersonen sehr angepasst reagieren können.»

Die Verantwortung liege bei der Schulleitung, den Unterricht richtig zu gestalten. Der Kanton könne dafür die optimalen Rahmenbedingungen setzen und die Schulleitung diesbezüglich unterstützen. Es sei auch möglich, dass man in einigen Lektionen zusätzliche Lehrpersonen in den Unterricht integrieren könne, um die Kinder besser zu unterstützen. «Als Kanton haben wir gute Rahmenbedingungen geschaffen, wo die Lehrpersonen auch Informationen zum Umgang mit sehr speziellen Bedürfnissen abholen können», sagt Martina Krieg.

Voll im Leben und doch gekennzeichnet

Julia steht heute voll im Leben, sie studiert Rechtswissenschaften in Bern. Auch wenn sie die Krankheit scheinbar hinter sich gelassen hat, begrüsst sie die Bemühungen von Kanton und Verband: «Man muss vom Gedanken wegkommen, dass geheilt dasselbe wie gesund sei.» Hin und wieder zu fragen wie es dem Kind geht, auch psychisch, sei sehr wertvoll.

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veröffentlicht: 20. November 2023 19:31
aktualisiert: 20. November 2023 19:31
Quelle: PilatusToday

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redaktion@pilatustoday.ch