Schwyzer Strafgericht

Gewöhnlicher Polizei-Einsatz mit aussergewöhnlichen Folgen

26.11.2020, 20:13 Uhr
· Online seit 23.11.2020, 17:04 Uhr
Am 31. August 2016 rückt die Kantonspolizei Schwyz wegen einer Morddrohung aus. Zuvor war eine eigentlich harmlose Situation um Parkplätze auf einem Privatgrundstück eskaliert. Wie die Polizisten danach eingriffen, veränderte das Leben von A.B.*.
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Am Donnerstag, 26. November und bereits am Montag, 23. November hat am Strafgericht in Schwyz die Verhandlung wegen Amtsmissbrauch von vier Polizisten stattgefunden. Nach Ansicht des Privatklägers war der Einsatz der Polizei alles andere als korrekt und verhältnismässig. Deshalb erstattete er Anzeige.

Der Kläger wirkt sachlich bei der Schilderung des Tages, an dem er wegen einer Morddrohung gesucht wurde. Er redet schnell, gestikuliert viel, weiss aber, was er sagen will und was ihn beschäftigt: der scheinbar unmenschliche Umgang der angeklagten Polizisten mit ihm.

Gemäss der Anklageschrift soll es bei der Festnahme, dem Transport und insbesondere auf dem Polizeiposten zu falschem Verhalten der Polizei gekommen sein. Dabei geht es um eine unverhältnismässige Leibesvisitation, das Verweigern eines Anwalts und die Drohung einer fürsorglichen Unterbringung, sollte der Privatkläger seine Morddrohung nicht widerrufen. Die Polizisten sprechen von einem korrekten und verhältnismässigen Einsatz.

In psychiatrischer Behandlung

Der Privatkläger indes sagt, dass der Tag sein Leben verändert habe. Bis heute leide er unter den Folgen dieses Einsatzes. Er sei in psychiatrischer Behandlung und stehe nun seit vier Jahren unter ärztlicher Beobachtung. Er könne diesen Tag nicht vergessen und es beschäftige ihn jeden Tag.

Bei der Befragung der Angeklagten sagten zwei der Polizisten aus, dass durch den Privatkläger an diesem Tag eine akute Gefährdung, sowohl für Drittpersonen als auch die Person selbst, ausging. Deshalb sei der Einsatz korrekt abgelaufen und die verfügten Massnahmen, um diese Situation zu entschärfen, verhältnismässig.

Die Beschuldigten machten jedoch immer wieder Erinnerungslücken geltend oder sagten, sie könnten sich nicht an alle Details, seien es Abläufe oder wer nun genau eine Handlung durchführte, erinnern. Eine beschuldigte Person verweigerte die Aussage als Ganzes.

War die Leibesvisitation verhältnismässig?

Die erwähnte Verhältnismässigkeit steht im Zentrum der Verhandlung. Musste der Privatkläger tatsächlich in Handschellen auf den Polizeiposten gebracht werden? War eine Leibesvisitation, nach dem bereits bei der Festnahme durchgeführten Abtasten, noch nötig? Und ging vom Privatkläger eine solche Gefahr für Drittpersonen und sich selber aus, dass die Idee einer fürsorglichen Unterbringung angebracht war?

Der Privatkläger sieht sich als Opfer polizeilicher Schikane. Man habe ihn unnötigerweise auf den Polizeiposten gebracht – von ihm sei keine Gefahr ausgegangen –, den Anwalt verweigert und ihn schliesslich auch einer völlig unverhältnismässigen Leibesvisitationen unterzogen. Gemäss A.B.* habe er sich bei dieser Körperkontrolle „füdliblutt“ abziehen müssen und sei rund zwei Minuten komplett nackt gewesen.

Von „das kann nicht sein“ bis „lächerlich“ oder „da kann ich nur lachen“ waren die Reaktionen der Beschuldigten auf diese Unterstellung des Privatklägers. Die Phase der kompletten Nacktheit habe nur 10 bis 15 Sekunden gedauert. Ausserdem sei eine Leibesvisitation immer eine aussergewöhnliche Massnahme, die eine besondere verhältnismässige Prüfung benötige. Sie wurde in diesem Fall durchgeführt, weil vom Privatkläger durch seine Morddrohung eine Gefahr für sich und andere ausging.

Die Gefahr des Rückschaufehlers

Sowohl die Verteidiger als auch die Staatsanwaltschaft betonen in ihren Plädoyers, dass das Gericht auf keinen Fall einen Rückschaufehler machen dürfe. Die Handlungen der Polizisten müssten immer in Licht des aktuellen Wissenstandes betrachtet werden. Und in diesem Licht waren sämtliche Handlungen verhältnismässig.

Dem widerspricht der Anwalt des Privatklägers vehement. Gemäss der Privatklägerschaft sei sicherlich bei der Fesselung, der Leibesvisitation und der angeblichen Drohung einer fürsorglichen Unterbringung das Mass an Zwang überschritten worden. Somit sei die Verhältnismässigkeit nicht mehr gegeben gewesen und der Tatbestand des Amtsmissbrauchs erfüllt.

Freispruch für alle Beschuldigten

Das Strafgericht Schwyz sieht das jedoch nicht wie der Privatkläger. Es ist der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung gefolgt und sprach sämtliche angeklagten Polizisten vom Amtsmissbrauch frei. Für das Gericht war klar, dass Ende August 2016, nach dem damaligen Wissensstand der Polizei, eine akute Gefahrensituation vorhanden war. Insofern sei der Einsatz „rechtmässig und verhältnismässig“ gewesen.

Am Schluss des zweitägigen Verfahrens wendet das Gericht das Wort direkt an den Privatkläger mit der ehrlichen Hoffnung, er könne mit diesem Fall abschliessen und nach vorne blicken. Auch um seiner Gesundheit willen. Ob A.B. damit abschliessen kann, bleibt offen. Gegenüber PilatusToday und Tele 1 sagte er im Anschluss an die Verhandlung, er werde mit seinem Anwalt schauen, was das Urteil für ihn bedeute. Er wusste noch nicht, ob er den Fall ans Kantonsgericht weiterziehen wird.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig und kann an das Kantonsgericht weitergezogen werden.

Déjà-vu in Schwyz

In einem ähnlich gelagerten Fall hatte das Schwyzer Strafgericht vor einem Jahr bereits vier Polizisten freigesprochen. Auch ihnen war unter anderem Amtsmissbrauch vorgeworfen worden, als sie einen Mann wegen 66 Franken Steuerschulden auf das Betreibungsamt bringen wollten und ihm nach einem Fluchtversuch Handschellen angelegt hatten.

* Name der Redaktion bekannt

veröffentlicht: 23. November 2020 17:04
aktualisiert: 26. November 2020 20:13
Quelle: PilatusToday

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