Quelle: PilatusToday/Andreas Wolf
«Ich dachte, ich bin einfach ein Spätzünder», erklärt die 20-jährige Hanna Lai aus Sarnen. Über Instagram ist sie dann auf die verschiedenen Arten von Asexualität gestossen und konnte sich damit auch bald identifizieren. «Ich habe noch nie jemanden gesehen und gedacht ‹Mit dem will ich jetzt ins Bett›. Wenn, dann käme die Anziehung, nachdem ich bereits eine emotionale Bindung geschlossen habe.»
Diese Art von Anziehung nennt man demisexuell. Das wiederum befindet sich auf dem Spektrum der Asexualität. Bei jedem Menschen zeige sich die Asexualität nämlich anders. «One-Night-Stands habe ich nie verstanden», erklärt die 21-Jährige Rún Studer. Zusammen mit Hanna führt sie den Instagram-Account «Queers usem Kaff». Dort machen sie unter anderem auf das Thema Asexualität aufmerksam. «Es ist völlig okay, wenn man nicht alles flachlegen will», sagt Rún. «Sex ist scheinbar das coolste Ding auf Erden – Wenn du das nicht willst, giltst du in der Gesellschaft schon als uncool.»
Das perfekte Frauenbild
Auch Rún fühlt sich auf dem Spektrum der Asexualität zu Hause. «In der Werbung und in Filmen wird einem überall signalisiert, dass man nur ein komplettes Leben hat, wenn man Sex hat. Man kann sich schon kaputt fühlen, wenn man das nicht will.» Für Rún war ihre Sexualität allerdings nie ein Problem. «Für mich war es schon immer normal.»
Schon früh hat sie sich mit ihrer Sexualität auseinandergesetzt – dies wegen ihrer Freikirchlichen Erziehung. «Es ist das ideale Frauenbild: Sie will erst dann Sex, wenn sie verheiratet ist und Kinder will. Ich wusste, ich bin asexuell», so die 21-jährige Obwaldnerin. Bald schon kamen ihr aber Zweifel zur Definition ihrer Sexualität.
Vorurteil: Asexuell gleich kein Sex
Durch ihre religiöse Erziehung hat sich Rún bald gefragt, ob sie sich überhaupt als asexuell bezeichnen darf. «Ich hatte Angst, dass ich sexuelle Bedürfnisse habe, durch die Kirche aber das Gefühl bekam, ich dürfe diese nicht haben.» Sie hat sich überlegt, ob sie Sex einfach ausprobieren müsste, um sagen zu können, dass sie das nicht will. «Das habe ich auch gemacht. Ich habe aber früh gemerkt, dass ich mich dabei unwohl fühle und konnte immer abbrechen.»
Den Reiz an Sex können auch Hanna und Rún nicht abstreiten. «Es kann ja trotzdem eine schöne Erfahrung sein. Ich kenne Asexuelle, die gerne Sex haben, auch wenn die Anziehung fehlt», so Rún. Hanna ergänzt: «Es gibt schon auch Asexuelle, die Sex eklig finden. Zu sagen ‹Du bist asexuell, du hast keinen Sex› ist aber falsch.»
Fehlende Repräsentation
Vorurteile entstehen oft durch Unwissenheit oder falschen Informationen. Im Falle der Asexualität läge es an der fehlenden Repräsentation in der Gesellschaft. «Ich kenne nur zwei Aufklärungsbücher, in denen Asexualität thematisiert wird», so Hanna. Rún geht es ähnlich, für sie ist Asexualität auch in der Popkultur zu wenig sichtbar. «Wenn die Protagonistin eines Buches dann mal klar demisexuell ist, gibt einem das schon ein gutes Gefühl. Man fühlt sich dann normaler.»
Als ein gutes Beispiel, wie alle Menschen angesprochen werden können, nennen die beiden die Netflix-Serie «Sex Education» (übersetzt: sexuelle Bildung/Aufklärung). Ein Charakter der Serie spricht mit der Sex-Therapeutin der Schule darüber, dass sie keinen Sex möchte und sich kaputt fühle. Die Therapeutin antwortet in der Originalsprache Englisch: «Sex doesn’t make us whole. So how could you ever be broken?» auf Deutsch: Sex heilt uns nicht. Wie kannst du also kaputt sein?
«Die Szene geht keine drei Minuten. Es ist aber so schön zu sehen, dass es thematisiert wird», sind sich Rún und Hanna einig. Solche Beispiele brauche es in den Medien viel mehr. Rún schliesst ab: «Es kann auch tolle Geschichten geben, ohne dass jemand flachgelegt werden muss.»