«Sie will alles selbst machen»

In Spiess-Hegglins Verein NetzCourage rumort es

04.11.2022, 20:50 Uhr
· Online seit 04.11.2022, 20:15 Uhr
Die Schlagzeilen drehen sich mal wieder um Jolanda Spiess-Hegglin. Oder genauer: um den von ihr gegründeten Verein NetzCourage. Dieser kracht sich in der Öffentlichkeit mit Mitgliedern. Am Freitagabend kommt es zur Mitgliederversammlung.
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2016 gründete die ehemalige Zuger Kantonsparlamentarierin Jolanda Spiess-Hegglin den Verein NetzCourage. Sie und der Verein haben sich auf die Fahne geschrieben, mit Soforthilfe-Massnahmen sowie Aufklärungs- und Präventionsarbeit Cybermobbing-Opfern zu helfen. Unterstützt wird respektive wurde das Vorhaben unter anderem von verschiedenen Stiftungen, dem Bund und dem Kanton Zug.

Unruhen im Verein

«NetzCourage war mit seinen rund 1600 Mitgliedern lange eine einzige Erfolgsgeschichte. Doch seit einem Jahr hat den Verein Unruhe erfasst», schreibt der «Tages-Anzeiger». Deshalb dürfte die Mitgliederversammlung vom Freitagabend spannend werden. Für diese seien von kritischen Mitgliedern gesamthaft 32 Anträge eingereicht worden. «Sie verlangen mehr Transparenz und bessere Strukturen. Vier Mitglieder wurden daraufhin vom Verein ausgeschlossen. Offizielle Begründung: Vereinsschädigendes Verhalten», führt die Zeitung weiter aus.

Bei der einzigen Beratungsstelle für digitale Gewalt in der Schweiz scheint seit einiger Zeit ordentlich der Wurm drin. Unter anderem hat deshalb das Gleichstellungsbüro des Bundes 2021 die Finanzierung eingestellt. Als Grund wurde angegeben, dass man sich eine «bessere, detailliertere und proaktivere» Kommunikation des Vereines gewünscht hätte.

Spiess-Hegglins Zoff mit Journalistin am Ursprung der Geschichte

Den gestrichenen Bundesmitteln vorausgegangen waren Diskussionen um einen Twitter-Beitrag, den Spiess-Hegglin gelikt hatte. Darauf zu sehen war die Journalistin Michèle Binswanger mit abgeschlagenem Kopf. Mit der Journalistin des «Tages-Anzeigers» kracht sich Spiess-Hegglin seit längerer Zeit. Es geht unter anderem um ein Buch, das die Journalistin über die Zuger Landammannfeier 2014 verfasst hat, aber aufgrund Einsprachen von Spiess-Hegglin noch immer nicht veröffentlichen konnte.

Dieser Rechtsstreit befeuerte nun auch das neuerliche Aufsehen rund um Spiess-Hegglin und ihren Verein. Auf Twitter machte sich die Präsidentin von NetzCourage über einen fiktiven Richter-Dialog mit einer Journalistin, offensichtlich Michèle Binswanger, lustig:

Währenddessen wird auf Twitter gezwitschert, was das Zeug hält. Mehrere User und (Ex-)Mitglieder äussern sich negativ über die Kommunikation von Spiess-Hegglin. Zu lesen ist beispielsweise: «Und wieder mal wendet NetzCourage dieselben Methoden an, die es vorgibt zu bekämpfen». Oder: «Sorry, aber das ist nur noch widerlich und widerspricht wohl allem, wofür die eigentlich so tolle und wichtige Idee Netzcourage einmal stand.»

Ähnliche Vorwürfe, die 2021 bereits SVP-Nationalrat Andreas Glarner gemacht hatte: «Bundesbeiträge für eine Organisation gegen Hate Speech, deren Mitarbeiter selber Hate Speech betreiben?»

Halber Vorstand ist zurückgetreten

Bereits im Sommer seien vier von sechs Vorstandsmitglieder von NetzCourage zurückgetreten, schreibt die Zürcher Tageszeitung. So auch Interimspräsidentin Liliane Ritzi. Sie kam erst vor einem Jahr ins Amt, weil die bisherigen Co-Präsidentinnen Tamara Funiciello (SP) und Greta Gysin (Grüne) wegen strategischer Differenzen mit Spiess-Hegglin zurückgetreten waren.

Als Ritzi das Präsidium übernahm, hätte sie auch gleich einen ersten Tiefschlag erfahren: die Einstellungen der Subventionen des Gleichstellungsbüros. «Es waren die ziemlich gleichen Gründe, die nun auch für Unruhen im Verein sorgen», zitiert der «Tages-Anzeiger» Ritzi. NetzCourage sei schlicht und einfach zu wenig transparent.

«Der Vorstand kann gar nicht strategisch arbeiten, weil Geschäftsführerin Spiess-Hegglin alles selbst machen will», meint Ritzi. Sie und ein weiteres ehemaliges Vorstandsmitglied hätten kritische Anträge gestellt und seien folglich ausgeschlossen worden.

Hansi Voigt stellt sich auf Spiess-Hegglins Seite

Jolanda Spiess-Hegglin und Medien: Es ist eine aussergewöhnliche Beziehung, die immer mal wieder vor Gericht endet. Die NetzCourage-Gründerin schreibt in ihrer Twitter-Bio: «Freizeit: Medienhäuser verklagen». Mit dem Journalisten Hansi Voigt pflegt sie hingegen eine enge Beziehung. Der Gründer des Online-Portals Watson stellt sich am Freitagabend zur Wahl als neuer Präsident von NetzCourage.

Voigt beschreibt die Geschehnisse der vergangenen Monate als «querulantische Twitter-Verleumdungskampagne von vier Ex-Mitgliedern». Seiner Meinung nach ist das Verhalten der Ex-Vorstandsmitglieder ein gescheiterter Versuch, den Verein zu kapern. Und auch Spiess-Hegglin äussert sich via Twitter: «Sie haben eine unerträgliche Unruhe in den Vorstand und vor allem das operative Team gebracht, während vier Monaten versuchte diese Gruppe auf Twitter, maximalen Schaden für NetzCourage anzurichten.»

Eignungsprüfung gefordert

Am Freitagabend kommt es nun zur neuerlichen Konfrontation der beiden Streitparteien. Unter anderem fordert Liliane Ritzi in ihrem Antrag eine Eignungsprüfung von Spiess-Hegglin: «Wenn der Verein mit seinem grossartigen Zweck überleben will, muss das ohne Spiess-Hegglin in der operativen Führung geschehen.»

Hansi Voigt antwortet darauf wie folgt: «Der Vorstand und der Beirat haben volles Vertrauen in die Geschäftsführerin.» Er und der aktuelle Vereinsvorstand schlagen deshalb den Mitgliedern bei allen 32 Anträgen Nichteintreten vor, so der «Tages-Anzeiger». «Es gibt sicher einiges aufzuarbeiten. Aber der neue Vorstand ist dran, tagt regelmässig, bemüht sich um Transparenz – und hat eine Chance verdient», ergänzt Voigt via Twitter etwas versöhnlicher.

veröffentlicht: 4. November 2022 20:15
aktualisiert: 4. November 2022 20:50
Quelle: PilatusToday

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