Flüchtlings-Fiasko in Luzern

Aufstand der Gemeinden: Verteilt Kanton nun Bussen en masse?

· Online seit 03.09.2022, 06:16 Uhr
Die Galgenfrist ist abgelaufen: Ab dem 1. September werden Gemeinden vom Kanton Luzern gebüsst, wenn sie zu wenig Geflüchtete aufgenommen haben. Wie Recherchen dieser Redaktion zeigen, werden viele Gemeinden davon betroffen sein. Sie werfen dem Kanton Überforderung vor und drohen damit, Bussen nicht zu bezahlen.
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Im Kanton Luzern muss jede Gemeinde pro 1000 Einwohner für 23.5 Geflüchtete Wohnraum bereitstellen. Per 20. Juni 2022 konnten diesen Soll-Wert gerade einmal sechs der 80 Gemeinden erfüllen. Wie Recherchen von PilatusToday und Tele 1 zeigen, können auch rund zwei Monate später viele Gemeinden die geforderte Anzahl Plätze noch immer nicht bereitstellen. Seit dem 1. September verteilt der Kanton nun Bussen. Pro Tag und nicht aufgenommene Person muss eine Gemeinde zehn Franken bezahlen. Der Betrag erhöht sich in den Folgemonaten laufend.

Diese zusätzlichen, finanziell starken Mehrbelastungen stossen vielen Gemeinden sauer auf. Bleibt es beim Status quo, müsste beispielsweise die Gemeinde Ballwil für das Jahr 2023 über 400'000 Franken zahlen. «Diese Kosten führen zu einem Defizit im Budget 2023, welches den Bürgern aufgrund des bekannten bestehenden Wohnraummangels schwer zu vermitteln sein wird», erklärt die Gemeinde. Ballwil fehlen stand Ende August etwa 30 Plätze.

Die genannte Gemeinde ist bei Weitem kein Einzelfall. Diese Redaktion hat bei 20 Gemeinden im Kanton Luzern nachgefragt. Die Antwort war häufig dieselbe: Keine Chance, die geforderten Soll-Plätze aufzutreiben. Die Frist von zehn Wochen sei schlicht und einfach zu kurz gewesen. Es drohen vielen Gemeinden Bussen in Höhe von mehreren Tausend, wenn nicht sogar Zehntausende Franken pro Monat.

Wer trägt die Schuld?

Gemeinden machen dem Kanton grosse Vorwürfe. Ermensee antwortete folgendermassen auf die Frage, weshalb die Gemeinde das Soll nicht erreichen konnte: «Weil die zuständigen Personen der Dienststelle Asyl- und Flüchtlingswesen in den Ferien weilten und somit die Wohnraumabnahme liegen blieb und drei Wohnungen seit vier Monaten nicht besichtigt wurden.» Der zuständige Gemeinderat meinte zudem, dass die Dienststelle mit der aktuellen Situation überfordert sei. Die Zusammenarbeit sei «widersprüchlich und ungenau».

Eine weitere Gemeinde, die anonym bleiben wollte, hätte gemäss Angaben ein grosses Haus für zahlreiche Geflüchtete bereitstellen können. Weil die Abklärungen jedoch viel zu lange dauerten, ging es mit diesem Haus «bachab», antwortete die Gemeinde. Bis der Kanton antworte, seien vielerorts Wohnungen bereits anderweitig vermietet worden. Dasselbe Bild in Ettiswil. Die Gemeinde schreibt, dass es lange überhaupt keine Zusammenarbeit gegeben hätte. Mittlerweile sei es zumindest etwas besser geworden. «Aber sicherlich (noch) nicht in dem Ausmass, dass man davon sprechen kann, ‹gemeinsam nach Lösungen zu suchen›.»

Dass der Kanton so lange für die Abklärungen braucht, kostet die Gemeinden nun wohl viel Geld. Sie antworten mit: «Vorderhand werden wir sicher keine Zahlungen auslösen» oder «Falls ein Mietvertrag zustande kommt, werden wir uns voraussichtlich weigern, Ersatzabgaben zu zahlen.»

Gibt es ein versöhnliches Ende?

Die Aussagen von vielen Gemeinden lassen aufhorchen. Vom Kanton Luzern haben PilatusToday und Tele 1 trotz versprochener Antworten keine Rückmeldungen erhalten. Die Dienststelle Asyl- und Flüchtlingswesen werde kommende Woche kommunizieren. Das Programm sei momentan zu vollgepackt. Es bleibt also offen, ob der Kanton einen Schritt auf die Gemeinden zugehen wird und inwiefern die Gemeinden für die fehlenden Plätze zahlen müssen.

Die Gemeinden anerkennen jedoch, dass die aktuelle Situation auch für den Kanton keineswegs die Einfachste sei. «Es ist eine Herkulesaufgabe, in so kurzer Zeit, so viele Flüchtlinge unterzubringen», schreibt die Gemeinde Ballwil. Es stelle sich jedoch die Frage, ob der eingeschlagene Weg mit den Ersatzabgaben zielführend sei. «Denn dies löst bei den Gemeinden und bei der Bevölkerung eher Widerstand (und Ärger) statt Kooperation aus.»

Doch eben genau diese Kooperation wäre nötig, um Lösungen zu finden. Denn schlussendlich sind die Leidtragenden dieser schwierigen Situation die Geflüchteten – und nicht die Behörden.

veröffentlicht: 3. September 2022 06:16
aktualisiert: 3. September 2022 06:16
Quelle: PilatusToday

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