Sitz der Landesregierung

Das 175-Jahr-Jubiläum und die ewige Frage: Bundesstadt oder Hauptstadt?

· Online seit 28.11.2023, 05:42 Uhr
Genau vor 175 Jahren wählte das eidgenössische Parlament die Stadt Bern zur Bundesstadt. Doch warum nicht zur Hauptstadt? Das sind die wichtigsten Fragen und Antworten zum Jubiläum.
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Der 28. November 1848 – warum ist dieses Datum wichtig?

Dieser Tag war einschneidend für die Stadt Bern und die gesamte Schweiz. Der Bundesstaat wurde im selben Jahr gegründet und das Land bekam die erste Bundesverfassung. «Allerdings hatte die Verfassung nicht festgelegt, wo die Bundesbehörden ihren Sitz haben werden. Also wo der Bundesrat, das Parlament und die Verwaltung untergebracht werden», erklärt André Holenstein, emeritierter Professor für ältere Schweizer Geschichte an der Universität Bern. Also fand am 28. November 1848 eine wichtige Wahl statt. «Es ging darum, welche Stadt der Schweiz Sitz der Bundesbehörden werden sollte.» Die Stadt Bern wurde zur Bundesstadt gewählt. Die Versammlung der Einwohnergemeinde Bern selbst bewilligte die Wahl zum Bundessitz schliesslich am 18. Dezember 1848 – in einer durchaus knappen Abstimmung.

War von Anfang an klar, dass Bern die Bundesstadt wird?

Nein, es waren einige Städte im Rennen. «Es war sehr umstritten», sagt Holenstein. «Zürich und Luzern waren neben Bern die aussichtsreichsten Kandidaten.» Insbesondere Städte, die in der alten Eidgenossenschaft und in den Jahrzehnten vor 1848 eine führende Rolle in der Schweiz hatten, hätten kandidiert. Trotz der Konkurrenz gewann Bern die Wahl klar. Holenstein erklärt: «Bern hat erstaunlicherweise schon im ersten Wahlgang mit einer Stimme über dem absoluten Mehr den Zuschlag erhalten.»

Was bedeutete das für die Stadt Bern?

«Für Bern bedeutete das erst einmal viel Kosten», sagt Holenstein. Die Stadt musste viel Geld in die Hand nehmen, um das erste Bundeshaus zu bauen. In einem Gesetz war gemäss dem Historiker bereits vor der Wahl festgelegt worden, dass die künftige Bundesstadt nicht nur für den Bau, sondern auch für den Unterhalt der Räumlichkeiten und Gebäude für die Bundesbehörden zuständig sein würde und diese auch bezahlen müsse. «Aber natürlich hat es auch mit Ehre, Prestige und Reputation zu tun gehabt.»

Warum sind dann auch die Botschaften nach Bern gekommen?

Bern wurde nicht nur zum Zentrum der Schweizer Bundespolitik. Es ist laut Holenstein auch das diplomatische Zentrum geworden. «Weil von da an wollten die diplomatischen Gesandten aus den ausländischen Staaten natürlich möglichst nah am schweizerischen Machtzentrum sein.» Sie hätten sich darum in Bern niedergelassen und hier ihre Botschaftsgebäude bezogen.

Die ewige Frage: Warum ist Bern Bundesstadt und nicht Hauptstadt?

«Die Schweizer Geschichte ist bis um circa 1800 eine Geschichte, in der es darum geht, zu verhindern, dass ein Ort stärker wird als die anderen», ordnet der Historiker ein. Über Jahrhunderte habe sich die Schweiz sehr schwergetan, ein klares Zentrum zu definieren.

Er erklärt: «Eine Hauptstadt ist in der Regel damit verbunden, dass alle wichtigen Behörden und Institutionen eines Staates dort untergebracht sind.» Beispiele dafür sind Washington (USA), Berlin (Deutschland) und Paris (Frankreich). Das ist in der Schweiz nicht der Fall. Bern beherbergt die Behörden und die nationale Politik. Dass Bern nicht die Hauptstadt ist, sondern nur Bundesstadt, sei Ausdruck der Tatsache, dass man nicht ein allzu starkes Zentrum habe schaffen wollen. «Darum kam eben das Bundesgericht nach Lausanne und Luzern und beispielsweise das Bundesamt für Statistik nach Neuenburg.» Er betont: «Die Bundesstadt soll weniger sein, als eine klassische Hauptstadt.»

Spielt es eine Rolle, ob ich Bundesstadt oder Hauptstadt sage?

«Ob das jetzt Hauptstadt oder Bundesstadt genannt wird, ist, glaube ich, für die meisten Leute völlig egal», sagt der renommierte Historiker. Für sehr viele Leute bestünde gar kein grosser Unterschied. Historisch gesehen sei es jedoch bemerkenswert, dass der offizielle Ausdruck eben Bundesstadt sei.

Ist denn der Ausdruck Hauptstadt falsch?

Ja und Nein. Der Historiker sagt: «Falsch ist es nicht.» Denn: «Man weiss, was die Person sagen will.» Und Bern sei auf der nationalen Ebene eindeutig das politische und diplomatische Zentrum der Schweizer Politik, das sei ganz klar. Aber: «Es ist mehr als eine sprachliche Belanglosigkeit.» Man kann also ruhig Hauptstadt sagen, läuft aber immer Gefahr, von Personen, die über den Unterschied Bescheid wissen, mit triumphierendem Lächeln korrigiert zu werden.

Wie braucht die Stadt Bern selbst die Begriffe?

«Bern erfüllt alle zentralen Hauptstadtfunktionen eines modernen Landes», teilt die Stadt Bern auf Anfrage mit. So habe sich Bern historisch gesehen als «Bundesstadt» etabliert, rechtlich gesehen, beispielsweise in der Bundesverfassung, sei der Begriff aber nie festgelegt worden.

Laut dem Informationsdienst sei aber in einem modernen Verständnis der Begriff «Hauptstadt» genauso zutreffend. Entscheidend sei insbesondere der Sitz der Landesregierung. In der Kommunikation von Gemeinderat und Verwaltung habe sich dieser moderne Begriff deshalb eher etabliert. «Dies ist am besten ersichtlich in der Bezeichnung der ‹Hauptstadtregion Schweiz›.» Zwischenzeitlich habe der Begriff auch Eingang gefunden in verschiedene Politikbereiche, beispielsweise in Form der «Velohauptstadt» oder «Sporthauptstadt» Bern.

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veröffentlicht: 28. November 2023 05:42
aktualisiert: 28. November 2023 05:42
Quelle: BärnToday

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