112 Einträge zu Grünen

Der Geheimdienst speichert immer noch Daten über Politiker

01.06.2022, 13:23 Uhr
· Online seit 01.06.2022, 13:23 Uhr
Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) hat das Informationensammeln über Parteien und Politiker nie komplett aufgegeben. Rund 30 Jahre nach dem «Fichenskandal» tätigt er immer noch Einträge. Davon betroffen ist gar der Grüne-Präsident.
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Der «Fichenskandal» oder «Fichenaffäre» hatte die Schweiz im Jahre 1989, gegen Ende des Kalten Krieges, erschüttert. Nach und nach war ans Licht gekommen, wie der Schweizer Nachrichtendienst (NDB) das Volk beobachtete und fast eine Million Registerkarten, sogenannte Fichen, über Individuen anlegte. Der Aufschrei war gross: Am 3. März 1990 gingen fast 30'000 Demonstranten in Bern auf die Strasse und forderten die Herausgabe ihrer Fichen.

Rund 30 Jahre später, im Juni 2021, haben unter anderem die Grüne Partei und die Nichtregierungsorganisation Public Eye erneut Einblick in die NDB-Akten verlangt. Nochmals ein Jahr später, Anfang Mai dieses Jahres, haben sie nun eine Antwort erhalten. Und wieder gibt es Grund zur Empörung.

In den sicherheitsrelevanten Datenbanken des NDB befinden sich nämlich 112 Einträge zur Grünen Partei und 35 zu Parteipräsident Balthasar Glättli, wie die Partei am Mittwoch gegenüber der Nachrichtenagentur Keystone-SDA bestätigte. Auch zu «Public Eye» und zum Jugenddachverband SAJV gibt es gemäss dem Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) Einträge.

NDB weist Vorwürfe zurück

Für Glättli handelt es sich bei jedem einzelnen Eintrag um einen Gesetzesverstoss: «Es kann nicht sein, dass man in einer Datenbank vorkommt, die eigentlich der Bekämpfung von Terrorismus und organisierter Kriminalität dienen sollte, nur weil man in einer Zeitung zitiert wurde», sagte er. Nach jeder Untersuchung habe der NDB versichert, dass er nun aufräume, und dann habe er trotzdem wieder Material gesammelt und Löschfristen verletzt.

Der NDB wies auf Anfrage jegliche illegale Aktivitäten zurück: Politische Parteien seien «klar kein Ziel der nachrichtendienstlichen Beschaffungsaktivitäten» und würden «ausnahmslos nicht als Bedrohung der inneren oder äusseren Sicherheit eingeschätzt». Es könne jedoch sein, dass gewisse Personen oder Organisationen in abgelegten Dokumenten erwähnt würden, wenn sie in einem Presseartikel genannt worden seien, der in Zusammenhang mit einer für den NDB wichtigen Thematik stehe.

Daten würden innert 24 Monaten gelöscht

In der Vergangenheit seien diese Organisationen hauptsächlich in den Pressenschauen des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) aufgetaucht, die vom NDB abgelegt wurden. Heute würden nur noch einzelne Artikel gespeichert, die einen Bezug zur Aufgabe des NDB hätten.

SRF publizierte unter anderem ein NDB-Dokument mit dem Hinweis auf eine Delegiertenversammlung der Grünen. Bei diesen Agenden handle es sich um sicherheitspolitische Informationen, die den kantonalen Behörden helfen, eine Lagebeurteilung vorzunehmen, hiess es beim NDB. Veranstaltungen wie eine Delegiertenversammlung seien für den NDB nur insofern relevant, als die Möglichkeit bestehe, dass diese von Parteigegnern gewaltsam gestört werden könnten. Heute würden diese Daten nach ein bis zwei Jahren gelöscht.

Überhaupt habe der NDB in den letzten beiden Jahren «grosse Anstrengungen unternommen, um seine Datenbestände zu bereinigen». Seit 2020 habe er rund 4,5 Millionen Dateien gelöscht. Die Auskunftsgesuche der Grünen und der NGO seien denn auch zu einem Zeitpunkt eingegangen, «an dem diese Bereinigungsarbeiten noch nicht abgeschlossen waren». Viele dieser Treffer seien mittlerweile aber gelöscht worden.

Prüfungsdelegation widerspricht NBD

Der NDB war in der Vergangenheit bereits mehrmals für seine Sammel-Praxis gerügt worden, sowohl von der Aufsichtsbehörde (AB-ND) als auch von der parlamentarischen Oberaufsicht, der Geschäftsprüfungsdelegation der eidgenössischen Räte (GPDel). Beide Aufsichtsorgane waren in ihren jeweiligen Berichten im Jahr 2020 zum Schluss gekommen, dass der NDB nach wie vor mehr Informationen sammle, als ihm das Gesetz erlaube.

2019 war bekannt geworden, dass linke Politikerinnen und Politiker teils dutzendfach in den Datenbanken des NDB aufgetaucht waren. Der damalige NDB-Chef Jean-Philippe Gaudi hatte zwar stets betont, dass der NDB keine Parteien oder Politikerinnen beobachte. Doch die GPDel kam zu einem anderen Schluss: Der NDB verstosse gegen das Gesetz, wenn er tausende nicht benötigte Zeitungsartikel, Agenturmeldungen und Texte von Internetseiten sammle, schrieb sie.

(sda/mhe)

veröffentlicht: 1. Juni 2022 13:23
aktualisiert: 1. Juni 2022 13:23
Quelle: Today-Zentralredaktion

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