Rechtlicher Aspekt

Dürfen Kinder bei der Corona-Impfung selbst entscheiden?

· Online seit 16.12.2021, 07:14 Uhr
Ab Januar sollen sich in der Schweiz auch Fünf- bis Elfjährige gegen Corona impfen lassen können. Da diese aber noch nicht volljährig sind, entscheiden meistens die Eltern. Dies kann zu familiären Konflikten führen. Wir erklären dir die rechtliche Lage.
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Gerade wenn die Eltern gegen eine Corona-Impfung sind, das Kind diese aber will, ist die Situation schwierig. Denn: Im Rechtssystem der Schweiz gibt es einen Unterschied zwischen der Volljährigkeit und der Urteilsfähigkeit.

Urteilsfähig, aber nicht volljährig

Die Volljährigkeit (auch Mündigkeit genannt) erreicht man im Normalfall mit 18 Jahren. Ab dann gilt man vor dem Gesetz als erwachsen und hat damit auch entsprechende Rechte und Pflichten. Man darf zum Beispiel einen Vertrag unterzeichnen, wird aber auch nach dem Erwachsenenstrafrecht verurteilt, sollte man eine Straftat begehen.

Die Urteilsfähigkeit ist rechtlich schwieriger zu greifen. Sie dient als eine Art rechtliche Zwischenstufe, bei der unmündigen Personen eine milde Form rechtlicher Selbstständigkeit und Selbstbestimmung zugetraut wird. Das Gesetz definiert die Urteilsfähigkeit so:

Dies bedeutet, dass die Urteilsfähigkeit nicht zwingend vom Alter abhängt. Kinder oder Jugendliche können bereits mit zehn Jahren, aber auch erst als 14-Jährige urteilsfähig sein. Menschen mit einer kognitiven Einschränkung sind es teilweise auch trotz Volljährigkeit nicht. Im medizinischen Bereich wird davon ausgegangen, dass sich die Urteilsfähigkeit zwischen dem zehnten und dem vierzehnten Lebensjahr entwickelt.

Was heisst das nun für die Impfung?

Geht man nach dem Prinzip der Urteilsfähigkeit, ist ein Kind frühestens ab dem zehnten Lebensjahr wirklich in der Lage zu entscheiden, ob es eine Impfung möchte. Denn zuvor wird sich das Kind kaum der möglichen Konsequenzen bewusst sein. Die Hürde, sich als minderjährige Person über den Kopf der Eltern hinweg für oder gegen die Corona-Impfung zu entscheiden, ist also je nach Alter ziemlich hoch.

Laut Artikel 3 der UN-Kinderrechtskonvention gilt der Grundsatz, dass Eltern oder andere Erziehungsberechtigte dafür zuständig sind, im Sinne des übergeordneten Kinderinteresses zu handeln. Kinder und Jugendliche müssen jedoch bei der Entscheidung mit einbezogen werden. Konkret sieht das sogenannte «Recht auf Beteiligung» vor, dass dabei ihre Meinung, ihre Ideen, ihre Wünsche, aber auch ihre Ängste und Unsicherheiten berücksichtigt werden.

Wer entscheidet im Zweifelsfall?

Theoretisch dürfen also die Eltern entscheiden, ob ihr minderjähriges Kind geimpft werden soll. In der Praxis und nach der UN-Kinderrechtskonvention – zu deren Einhaltung sich auch die Schweiz verpflichtet hat – müssen die Eltern das Kind bei der Entscheidungsfindung jedoch mit einbeziehen und seine Meinung respektieren. Ist ein Kind bereits urteilsfähig, kann es sich je nach Fall aber auch über den Kopf der Eltern hinweg für eine Impfung entscheiden, wie die «NZZ am Sonntag» jüngst berichtete. Dies betrifft vor allem Jugendliche zwischen 14 und 16 Jahren.

Wenn sich Kinder und Eltern nicht einig werden, kann die Urteilsfähigkeit von einer aussenstehenden Fachperson überprüft und das Familiengericht mit einbezogen werden.

veröffentlicht: 16. Dezember 2021 07:14
aktualisiert: 16. Dezember 2021 07:14
Quelle: ArgoviaToday

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