Quelle: Studie zum sexuellen Missbrauch in der kath. Kirche wird präsentiert / 12.09.2023
Die Universität Zürich hatte am Dienstag in einer Studie 1002 Fälle von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche in der Schweiz seit der Mitte des 20. Jahrhunderts dokumentiert. In der Politik sammelt sich jetzt eine Reihe politischer Forderungen.
Kirchensteuern und Ausweitung der Unverjährbarkeit
Grünen-Nationalrätin Franziska Ryser (31) will bei der Kirchensteuer beginnen. Hat ein Missbrauchsopfer eine Firma gegründet, sei es dann noch gerechtfertigt, dass es der Kirche Steurn zahlen muss? Trotz solcher Fragen will sie die Steuer nicht generell abschaffen.
FDP-Nationalrätin Doris Fiala (66) hat in einem Vorstoss die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle gefordert. «Auch die Politik hat in der Vergangenheit zu wenig genau hingeschaut», sagt sie zum «Blick». Für Fiala müssten unter anderem finanzielle Entschädigungen für die Opfer geprüft werden.
SVP-Nationalrat Mike Egger (31) will, dass sexueller Missbrauch bei Kindern und Jugendlichen unverjährbar wird. Die Unverjährbarkeit gilt gemäss Strafgesetzbuch für sexuellen Missbrauch von Kindern unter 12 Jahren. Für 13- bis 18-Jährige gelten verschiedene Verjährungsfristen. Egger hat eine Motion eingereicht, die eine Ausweitung auf Opfer bis ins Alter von 16 Jahren umfasst.
«Moralvorstellungen beeinflussen die Verharmlosung eines Verbrechens»
Das kirchliche Strafrecht hat laut Kirchenrechts- und Präventionsexperte Stefan Loppacher zu einer Vermischung von Moral und Recht geführt. Sexuelle Handlungen mit Buben seien mit Homosexualität begründet und im kirchlichen Kontext als moralisch verwerflich eingeordnet worden. Als gravierender sei Sex zwischen Mann und Frau gewertet worden. Das wäre ein «richtiger Zölibatsbruch». Loppacher habe entsprechende Akten gesichtet, sagt er im Interview mit dem «Tages-Anzeiger». Der Kirchenrechtler leitet das Fachgremium «Sexuelle Übergriffe im kirchlichen Umfeld» der Schweizer Bischofskonferenz. Zudem ist er Präventionsbeauftragter im Bistum Chur.
Die Frau werde aus biblischen und kultischen Reinheitsvorstellungen heraus als weniger rein gesehen. Bis heute präge dies die Sexualmoral und das Frauenbild der Kirche. «Abstruse Moralvorstellungen haben hier einen direkten Einfluss auf die Verharmlosung eines schweren Verbrechens», sagte Loppacher.
Selbstschutz statt Unrecht benennen
Das kirchliche Strafrecht sei über Jahrhunderte ein reines Disziplinarrecht gewesen. «Es ging darum, die Täter zu ihrem eigenen Heil vor sich selbst zu schützen und zur Umkehr zu bewegen», erklärt Loppacher. Unrecht zu benennen und dieses wiedergutzumachen, sei nicht Teil davon. «Das tönt natürlich so naiv, dass einem fast schwindlig wird», sagte der Kirchenrechtler. Doch basiere das kirchliche Strafrecht auf moralischen und theologischen Überzeugungen.
Die Kirchenverantwortlichen seien es sich zudem gewohnt gewesen, sich über den Staat zu stellen. «Die katholische Kirche kennt keine Fehlerkultur», sagte Loppacher. Aus Sicht des Staates existiere das Kirchenrecht nicht.
(sda/hap)