Affenpocken

Immer mehr Fälle weltweit – was hat das zu bedeuten?

23.05.2022, 10:18 Uhr
· Online seit 23.05.2022, 09:55 Uhr
Mehrere Infektionen in der Schweiz und den Nachbarländern lassen aufhorchen: Nach den schlechten Erfahrungen mit dem Anfang der Covid-19-Pandemie in den letzten zwei Jahren sorgt das Auftreten einer neuen ansteckenden Krankheit für Nervosität. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
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Seit Anfang Mai haben sich mehrere Menschen in Europa mit der Krankheit mit dem klingenden Namen infiziert: Affenpocken. Nach zwei Jahren Pandemie und in vielen Teilen der Welt immer noch hohen Fallzahlen kommt die Meldung über das Auftreten einer neuen ansteckenden Krankheit zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Das musst du wissen:

Wie ist die Situation in westlichen Ländern?

Offenbar hat sich der Erreger bereits längere Zeit unbemerkt in mehreren westlichen Ländern ausgebreitet. Inzwischen sind bereits zahlreiche Nachweise aus Europa und Nordamerika bekannt, darunter aus Grossbritannien, Spanien, Portugal, Deutschland, der Schweiz und Schweden. Im Zuge der gestiegenen Aufmerksamkeit ist mit weiteren Nachweisen zu rechnen, wohl auch in anderen Regionen der Welt.

Was sind die Affenpocken?

Affenpocken sind eine sogenannte Zoonose – genau wie Sars-CoV-2. Erstmals wurde das Virus 1958 bei Makaken identifiziert. «Seit 1980 werden Infektionen beim Menschen beobachtet», wie Esther Künzli, stellvertretende Chefärztin beim Swiss Tropical and Public Health Institute, gegenüber den Today-Plattformen erklärte.

Die Affenpocken kommen vor allem in den Regenwaldgebieten von West- und Zentralafrika vor. «Affen sind jedoch vermutlich Fehlwirte, genauso wie der Mensch», so Künzli. Man geht nämlich davon aus, dass das Virus in seinem natürlichen Zyklus primär unter den Nagetieren zirkuliert.

Grossen Schrecken verbreitete früher die Pockenkrankheit, verursacht von einem Virus aus der gleichen Gruppe. An der Infektion starb ein grosser Teil der Betroffenen. Die Pockenkrankheit gilt nach Impfkampagnen seit 1980 als ausgerottet.

Wir wurde das Virus auf den Menschen übertragen?

Menschen können sich mit dem Virus durch Bisse, Kontakt mit Sekreten von infizierten Tieren oder durch den Verzehr von Affenfleisch infizieren. «Die Affenpocken kommen hauptsächlich bei Menschen vor, die in diesen Regenwaldgebieten leben und entsprechenden Kontakt haben, wie beispielsweise Jäger und deren Familien», so Künzli.

Wie gefährlich sind die Affenpocken?

Die kursierende Variante des Affenpocken-Virus ruft nach Angaben der britischen Behörde UKHSA meist nur milde Symptome hervor, kann aber auch schwere Verläufe nach sich ziehen. Dass Erkrankungen in westlichen Ländern tödlich verlaufen, hält der Epidemiologe Paul Hunter von der Universität of East Anglia für sehr unwahrscheinlich.

Es sei aber nicht unmöglich, sagte er dem Sender BBC. Die in Europa und den USA auftretende westafrikanische Variante des Virus führe in Afrika bei etwa einem Prozent der Erkrankten zum Tod.

Es gibt auch eine zentralafrikanische Variante, bei der zehn Prozent der Fälle auf dem Kontinent tödlich verlaufen. Alle Altersgruppen und beide Geschlechter gelten dem deutschen Robert-Koch-Institut zufolge als gleichermassen empfänglich. Von tödlichen Verläufen in Afrika sind demnach vor allem Kinder betroffen.

Wo kursieren Affenpocken üblicherweise?

Affenpocken-Infektionen beim Menschen waren bislang vor allem aus Regionen West- und Zentralafrikas bekannt. Der erste Fall einer Affenpocken-Infektion beim Menschen sei 1970 in der Demokratischen Republik Kongo registriert worden, schreibt ein internationales Forscherteam im Fachmagazin «Plos Neglected Tropical Diseases». Danach habe sich das Virus in andere Länder Afrikas ausgebreitet, 2003 sei es erstmals ausserhalb des Kontinents nachgewiesen worden.

Im westafrikanischen Nigeria wurden in diesem Jahr nach Angaben der dortigen Gesundheitsbehörde zwischen Januar und Ende April 15 Fälle von Affenpocken erfasst. In Nigeria, Kamerun und der Demokratischen Republik Kongo kam es laut WHO in den vergangenen fünf Jahren immer wieder zu Ausbrüchen.

Ist der aktuelle Ausbruch ungewöhnlich?

Die WHO rief zu einer rigorosen Verfolgung aller Kontakte von Betroffenen auf. Kliniken und Bevölkerung müssten dafür sensibilisiert werden, einen ungewöhnlichen Hautausschlag von Fachpersonal begutachten zu lassen. Erhärte sich der Verdacht auf Affenpocken, sollten Patienten isoliert werden.

Der in «Plos Neglected Tropical Diseases» vorgestellten Analyse zufolge hat sich die weltweite Zahl der nachgewiesenen, wahrscheinlichen und vermutlichen Fälle in den vergangenen fünf Jahrzehnten mehr als verzehnfacht. Als möglichen Grund nennen die Forschenden einen nachlassenden Immunschutz nach dem Stopp der Pockenimpfungen 1980. Auch Abholzung sei eine mögliche Ursache oder könne als Verstärker fungieren.

Insgesamt würden die Affenpocken allmählich an globaler Bedeutung gewinnen, so die Forscher. Ob das Virus die Nische besetzt, die durch die Ausrottung der Pockenkrankheit freigeworden ist, sei momentan noch nicht abschätzbar, erklärte der Marburger Virologe Becker.

Wie wird das Virus übertragen?

Bei den aktuell erfassten Fällen sind in der Mehrheit Männer betroffen, die Sexualkontakte zu anderen Männern hatten. Das Virus scheine sich derzeit vor allem zwischen homo- oder bisexuellen Männern auszubreiten, sagte Becker. Intimkontakt ist aber nur eine Möglichkeit der Übertragung - es ist womöglich Zufall, dass das Virus zunächst in diesen Personenkreis getragen wurde und dann vor allem dort weiter kursierte.

Dem RKI zufolge geschieht eine Übertragung auf den Menschen allgemein häufig durch Kontakt mit infizierten Tieren oder tierischem Blut und Sekreten, über das Essen infizierten Affenfleischs sowie Tröpfcheninfektion. Der Epidemiologe Hunter sagte der BBC, das Virus infiziere Kontaktpersonen, indem es von den Pusteln Erkrankter in Wunden oder die Augen von Kontaktpersonen gelange, auch das Einatmen von Tröpfchen mit den Partikeln sei ein Weg.

Wie wird eine Infektion nachgewiesen?

Der Nachweis erfolgt wie beim Coronavirus und anderen Erregern mit einer Probe des Betroffenen über einen sogenannten PCR-Test. Ist Affenpocken-Virus enthalten, wird gezielt dessen Erbgut in einem speziellen Gerät vermehrt und kann danach leicht nachgewiesen werden.

Wie ansteckend sind Affenpocken?

Eigentlich gilt das Virus als wenig ansteckend. Bei der aktuellen Infektionshäufung sind die detaillierten Infektionsketten noch weitgehend unklar. Für den ersten bekanntgewordenen Fall in Grossbritannien geht die Gesundheitsbehörde UKHSA davon aus, dass er auf eine Ansteckung in Nigeria zurückgeht. Inwieweit es weitere Einträge aus afrikanischen Regionen in westliche Länder gab, ist noch zu klären. Klar scheint aber, dass der Erreger anschliessend ungewöhnlich oft an weitere Menschen weitergegeben wurde.

Aktuell scheine die Übertragung bei Affenpocken dabei aber zumindest nicht durch Aerosole zu erfolgen, schätzt der Marburger Virologe Becker. «Dann wäre das Ausbreitungsmuster anders.»

Gab es schon einmal Ausbrüche?

Ausserhalb von Afrika wurden Affenpocken-Infektionen beim Menschen bisher überhaupt erst wenige Male nachgewiesen. Die Häufigkeit scheint allerdings zuzunehmen. Im Jahr 2021 gab es der WHO-Statistik zufolge fünf erfasste Infektionen im Vereinigten Königreich und in den USA. Dreimal waren Menschen betroffen, die sich in Nigeria aufgehalten hatten, bei einem dieser Patienten steckten sich in Grossbritannien zwei Familienmitglieder ab.

Was sind die Symptome?

Zu den Symptomen zählen: plötzlich einsetzendes Fieber, starke Kopfschmerzen, Rückenschmerzen, Halsschmerzen, Husten, häufig auch Lymphknotenschwellungen. Typisch ist zudem ein vom Gesicht auf den Körper übergreifender, pockentypischer Ausschlag. Selten treten Erblindung und entstellende Narben als Dauerschäden auf.

Nach UKHSA-Angaben kann der Ausschlag in bestimmten Phasen der Erkrankung Windpocken oder Syphilis ähneln. Das RKI sensibilisierte Ärzte in Deutschland: Affenpocken sollten auch dann bei unklaren pockenähnlichen Hautveränderungen als mögliche Ursache in Betracht gezogen werden, wenn die Betroffenen nicht in bestimmte Gebiete gereist seien. Männer, die Sex mit Männern haben, sollten laut RKI bei ungewöhnlichen Hautveränderungen «unverzüglich eine medizinische Versorgung aufsuchen».

Gibt es eine Impfung?

In der Schweiz sind die Abklärungen zur Verfügbarkeit und Beschaffung eines Impfstoffes im Moment im Gang, wie BAG-Vizedirektorin Linda Nartey dem Schweizer Fernsehen SRF sagte. Es gebe keinen spezifischen Affenpocken-Impfstoff, aber es gebe in der Bevölkerung einen Impfschutz durch Pocken-Vakzine der ersten und zweiten Generation. Diese waren in der Schweiz im Rahmen eines Austrottungsprogramms bis zum letzten bekannten Pocken-Fall 1972 verabreicht worden.

Die Personen, die bis dahin mit dem Pocken-Impfstoff geimpft worden seien, würden «wahrscheinlich eine gewisse Immunität» auch gegen das Affenpocken-Virus haben, sagte Nartey. «Wie gut diese Immunität ist, kann ich derzeit nicht sagen.»

Ein Pocken-Impfstoff der dritten Generation, der auch Schutz gegen Affenpocken bietet, wurde in Europa für die Immunisierung gegen Pocken bei Erwachsenen zugelassen. Dieser Impfstoff ist allerdings gemäss dem BAG in der Schweiz nicht verfügbar respektive zugelassen.

Wie wird die Infektion behandelt?

Behandelt werden die Symptome sowie mögliche bakterielle Sekundärinfektionen, eine speziell gegen Affenpocken gerichtete Therapie gibt es nicht.

Gibt es eine neue Pandemie?

Eine Ansteckung von Mensch zu Mensch ist eher unwahrscheinlich, da diese über Tröpfchen passiert. Es braucht also einen engeren und längeren Kontakt, um sich anzustecken. Dazu kommt: «Von allen Personen, welche Kontakt mit einem Affenpocken-Fall haben, werden zu acht Prozent krank», so Esther Künzli. Als Vergleich: Bei Masern sind es mehr als 90 Prozent.

veröffentlicht: 23. Mai 2022 09:55
aktualisiert: 23. Mai 2022 10:18
Quelle: Today-Zentralredaktion

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