Stau am Himmel

In die Ferien fliegen? Zwischen Scham und Unbeschwertheit

· Online seit 07.07.2023, 18:39 Uhr
«Was?! Du gasch uf Wien mitm Flugi?» – und schon ist sie da: die Flugscham. Zumindest bei manchen. Woher kommt die Scham zu fliegen, wie weit verbreitet ist sie tatsächlich und warum kommt es dennoch zu Stau am Himmel? Wir haben nachgefragt und hinterfragt.

Quelle: PilatusToday / David Migliazza

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2020 wurde das Wort «Flugscham» in den Duden aufgenommen, als Begriff für ein «schlechtes Gewissen, das Klima beim Reisen mit dem Flugzeug (vor allem durch den hohen CO2-Ausstoss) zu belasten».

Seit der Pandemie scheint der Begriff aber wieder in den Hintergrund zu rücken: Die Fliegerei boomt. Das bemerkt auch die Swiss: «Die Reiselust der Menschen ist ungebrochen: Swiss rechnet in den kommenden Sommermonaten mit 20 Prozent mehr Fluggästen als im vergangenen Jahr.»

Flugscham oder ganz einfach Bequemlichkeit?

Auch vonseiten des Reiseveranstalters Hotelplan Suisse heisst es am Donnerstag vor den Medien am Flughafen Zürich: «Das Reisefieber der Schweizerinnen und Schweizer ist definitiv zurück.»

Insbesondere bei Städtereisen ins nahe gelegene Ausland wird aber laut Hotelplan Suisse je länger, je mehr auf Zug statt Flug gesetzt: «Fast 90 Prozent der bei uns gebuchten Reisen nach Paris beispielsweise werden mit dem Zug absolviert», schreibt Hotelplan Suisse in einer Mitteilung.

Als Grund gibt der Reiseveranstalter allerdings nicht Flugscham an. So schreibt er: «Reisen mit dem Zug ist nicht nur nachhaltiger, sondern erspart einem je nach Destination auch Zeit. Bei einer Anreise von bis zu acht Stunden entscheiden sich deswegen viele unserer Kundinnen und Kunden für den Zug.»

Fliegen boomt, Tendenz steigend

Auch wenn Kurzstreckenflüge vermehrt vermieden werden: Die Flugbranche schätzt, dass allein dieses Jahr über 4.4 Milliarden Passagiere rund um den Globus transportiert werden. Praktisch gleich viele wie vor der Pandemie. Und: Der Dachverband der Fluggesellschaften IATA geht davon aus, dass sich die Zahl der Flugpassagiere in den kommenden 20 Jahren weltweit gar verdoppeln wird.

«Ich getrau mich fast nicht, es zu sagen...»

Diese Zahlen und Fakten sprechen nicht unbedingt für eine verbreitete Flugscham. Wie sieht es hierzulande aus? Es scheint, als sei der Schweizer Bevölkerung durchaus bewusst, wie es um unser Klima steht: Mitte Juni wurde das Klimaschutzgesetz mit einer klaren Mehrheit von rund 59 Prozent angenommen. Zeigt sich dieses Bewusstsein auch in Form einer ausgeprägten Flugscham?

Jein, zeigt unsere Strassenumfrage: Einige fliegen zwar aus Prinzip nicht, anderen ist es wiederum egal. Und dann gibt es eben jene, die sich schämen - es aber dann doch tun.

«Es geht um die Lust am Leben»

Wie kann es sein, dass wir uns dem Klimawandel bewusst sind, Flugscham fühlen, gleichzeitig aber nicht darauf verzichten wollen? Olaf Knellessen, Psychoanalytiker aus Zürich, erklärt es wie folgt: «Das Fliegen ist sicher der Versuch, sich aus den Niederungen des Lebens, aus all den Konflikten, Kämpfen und Kriegen zu erheben, über ihnen zu stehen. Wir wollen das Leben geniessen, weil es um unser aller Leben geht.»

Und das soll auch so sein, so der Psychoanalytiker: «Denn es geht um die Lust am Leben. Auf dieses Fliegen verzichten, auf diese Lust und an seinem Überschuss, das wird man kaum können». 

Verreist du diesen Sommer und wenn ja, wie? Zug, Auto, Fahrrad oder doch per Flugi? Erzähl es uns in den Kommentaren!

veröffentlicht: 7. Juli 2023 18:39
aktualisiert: 7. Juli 2023 18:39
Quelle: PilatusToday

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