Shitstorm

Uni Luzern erntet Kritik für Corona-skeptisches Buch

17.12.2020, 18:56 Uhr
· Online seit 17.12.2020, 18:47 Uhr
Die Universität Luzern macht auf ein Buch zwei ihrer Dozenten aufmerksam. In diesem kritisieren die Ökonomen die Corona-Politik des Bundes aufs Schärfste und stützen sich dabei auf zweifelhafte wissenschaftliche Grundlagen.
Anzeige

«Wir schrieben dieses Buch als Ökonomen, die seit Jahrzehnten im Schweizer Gesundheitswesen tätig sind.» So beginnt das Vorwort von «Corona in der Schweiz - Plädoyer für eine evidenzbasierte Pandemiepolitik», geschrieben von Prof. Dr. Konstantin Beck und Dr. Werner Widmer. Beck ist Professor für Versicherungsökonomie und Widmer ein Experte für Spitalmanagement, beide amten als Dozenten an der Universität für Wirtschaftswissenschaften in Luzern.

Im Kern geht es um folgende Frage: Sind die Massnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie ihre Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft wert?

Corona-Massnahmen: Wie viel ist ein altes Leben wert?

Ganz egal, ob Leser auf diese Kernfrage mit «Ja» oder «Nein» antworten würden, das grosse Problem des Buches ist die Tatsache, dass es sich auf die Zeit von Frühling bis Sommer fokussiert. Pünktlich zur Veröffentlichung befindet sich die Schweiz auf dem Höhepunkt der zweiten Welle und verzeichnet Todeszahlen auf dem Höchststand. Die Tragweite der Frage – «Lohnen sich Corona-Massnahmen?» – lässt sich zum Zeitpunkt der Fragestellung gar nicht fassen. Vereinfacht ausgedrückt: Als würde man Fabio Celestini in der 55. Spielminute fragen, ob der Spielerwechsel während der Halbzeit etwas gebracht hat. Wer bei der Veröffentlichung schnell sein will, muss Abstriche machen. Das gleiche Problem hatte auch der Film «Unerhört!» von Reto Brennwald (PilatusToday berichtete).

Um diesen Umstand zu bereinigen, haben die Autoren ein weiteres Kapitel «Aktualisierungen» hinzugefügt. «Es ist jetzt Anfang November 2020», steht in der Einleitung geschrieben. «Wäre diese zweite Welle so gefährlich, wie die Frühlingswelle, das Gesundheitswesen wäre gestern bereits zusammengebrochen. Das tat es aber nicht», schreiben die Autoren. In der Gegenwart, Mitte Dezember, hat sich einiges verändert. Viele erwarten einen zweiten Lockdown. Die Spitäler warnen vor einer Überlastung.

Umstrittener Facharzt zitiert

Und dennoch sparen die beiden Ökonomen nicht mit Kritik. So muss etwa der Epidemiologe Christian Althaus für eine Prognose in der «NZZ» über sich lesen, er sei mitverantwortlich am «grössten wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Einbruch in der jüngeren Schweizergeschichte». Der Wissenschaftler machte daraufhin seinem Ärger auf Twitter Luft und scheint sich rechtliche Schritte zu überlegen.

Dicke Luft gibt es vor allem für den Arbeitgeber der beiden Ökonomen. Es stellt sich die Frage, warum die Universität Luzern als wissenschaftliche Institution ein Buch bewirbt, das den umstrittenen und zahlreich widerlegten Facharzt Sucharit Bhakdi sieben Mal zitiert. Auch Zürcher Nationalrat Martin Bäumle schaltete sich auf Twitter ein.

Die Uni Luzern reagiert mit einer Klarstellung. Es sei gängige Praxis, auf Veröffentlichungen ihrer Mitarbeiter hinzuweisen. Deren Inhalte spiegelten nicht die Meinung der Uni Luzern zu den Corona-Massnahmen wider.

Und auch das Interview mit den beiden Autoren ergänzt die Universität nach den kritischen Reaktionen mit drei weiteren Fragen. Die beiden Autoren betonen, dass ihre Aufarbeitung der Pandemie während der ersten Welle noch immer Bestand habe. Werner Widmer, ganz Ökonom, unterstreicht die Frage der Güterabwägung. «Ist der Schaden, der dank den Massnahmen vermieden wird, grösser als der Schaden, den die Massnahmen verursachen?» Übersetzt: Wie viel ist ein altes Leben wert?

veröffentlicht: 17. Dezember 2020 18:47
aktualisiert: 17. Dezember 2020 18:56
Quelle: PilatusToday

Anzeige
Anzeige
redaktion@pilatustoday.ch