Winterzeit

Von Kerzen, Krieg und Kleinstädten: Die Geschichte der Zeitumstellung

30.10.2021, 11:05 Uhr
· Online seit 30.10.2021, 10:58 Uhr
Jeweils am letzten Sonntag im Oktober endet die mitteleuropäische Sommerzeit und wir stellen unsere Uhren um eine Stunde zurück – auf Winterzeit. Doch wieso eigentlich? Und welche Zeit ist die «richtige»?
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Für die meisten von uns beschränken sich die spürbaren Auswirkungen der Zeitumstellung auf eine Nacht mit weniger oder mehr Schlaf – je nach Jahreszeit. Die Hintergründe, warum die Europäische Union die Sommerzeit eingeführt hat, haben mit Schlaf aber wenig zu tun.

Nicht jeder kennt die Sommerzeit

Gleich zu Beginn ist es wichtig zu wissen: Nicht alle Länder unterscheiden zwischen Winter- und Sommerzeit. Venezuela, Saudi-Arabien, Vietnam und viele andere Nationen haben in ihrer Geschichte noch nie eine Zeitumstellung durchgeführt. Nur rund 40 Prozent aller Länder tun dies im Moment.

In Äquatornähe variiert die Tageslänge weniger. Darum stellen die meisten Länder in tropischen Gebieten ihre Uhren nicht um. Noch heute werden fast jährlich irgendwo auf der Welt Zeitumstellungen eingeführt oder abgeschafft.

Die erste Zeitumstellung

Erste Überlegungen zur Sommerzeit machte Benjamin Franklin, einer der Gründerväter der USA, in einem Brief über «die Kosten des Lichts» im Jahre 1784. Franklin kritisierte auf lustige Weise den hohen Verbrauch an Kerzen und schlug vor, die Menschen bei Sonnenaufgang zu wecken, um das Sonnenlicht besser auszunutzen.

Über hundert Jahre später schreibt das kleine kanadische Dörfchen Port Arthur (heute Teil von Thunder Bay) mit der ersten offiziellen Zeitumstellung Geschichte. Am 1. Juli 1908 wagte die ein paar hundert Kopf grosse Gemeinde das Experiment und liess die Uhren eine Stunde vorstellen.

Bei der Bevölkerung schien dies auf Anklang zu stossen, denn schon im nächsten Jahr wechselte Port Arthur permanent von der Central Standard Time (CST) zur Eastern Standard Time (EST). Bis heute befolgt Thunder Bay diese “permanente Sommerzeit”.

Sommerzeit als Kriegsmassnahme

In Europa führten das Deutsche Reich sowie Österreich-Ungarn im Jahr 1916 zum ersten Mal die Zeitumstellung ein. Während des ersten Weltkriegs herrschte bei vielen Gütern eine Knappheit. So wollte man bei der künstlichen Beleuchtung an Sommerabenden sparen. Noch im selben Jahr reagierten Deutschlands Kriegsgegner Grossbritannien und Frankreich und entschieden sich für dieselbe Massnahme.

In der Weimarer Republik schaffte Deutschland 1919 die Kriegsmassnahme vorerst wieder ab. Auch Frankreich beendete nach Protesten von Landwirten im Jahr 1922 die Zeitumstellung, nur um sie ein Jahr später wieder einzuführen. Grossbritannien war das einzige Land, das zwischen den Weltkriegen kontinuierlich an der Verschiebung der Stunden im Sommer festhielt.

Deutschland Vorreiter, Schweiz Nachzügler

1973 wurde Europa hart von der Ölpreiskrise getroffen und aus Spargründen führte Frankreich 1976 als einziger westeuropäischer Staat erneut die Zeitumstellung ein. Überraschend verkündete die DDR 1979 die Einführung einer Sommerzeit. Ein Jahr später galt dies per Verordnung in beiden deutschen Staaten und Nachbarländer, die bisher abwarteten, zogen jetzt nach.

Als letztes mitteleuropäisches Land schloss sich die Schweiz 1981 der Sommerzeit-Bewegung an. Bis 1996 wurden in der Europäischen Union die unterschiedlichen Regelungen bezüglich der Zeitumstellung vereinheitlicht. Heute gilt die Sommerzeit für alle EU-Mitgliedsstaaten jeweils vom letzten Sonntag im März um 2.00 Uhr bis zum letzten Sonntag im Oktober um 3.00 Uhr.

(mda)

veröffentlicht: 30. Oktober 2021 10:58
aktualisiert: 30. Oktober 2021 11:05
Quelle: PilatusToday

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