Betroffene Familien

Wie weiter nach der Fehlgeburt?

02.05.2021, 18:57 Uhr
· Online seit 02.05.2021, 16:02 Uhr
Laut einer neuen Studie erleidet weltweit jede zehnte Frau im Laufe ihres Lebens mindestens eine Fehlgeburt. Für die Betroffenen ist dies oft ein einschneidendes Erlebnis. Um dieses zu verarbeiten, kann man sich an verschiedene Fachstellen wenden.

Quelle: Tele 1

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Von einer Fehlgeburt wird gesprochen, wenn es vor der 24. Woche einer Schwangerschaft zum Verlust eines Kindes kommt oder das Geburtsgewicht unter 500 Gramm liegt. Wie ein internationales Expertenteam im Fachmagazin «The Lancet» berichtet, betrifft dieses Schicksal jede siebte Schwangerschaft weltweit. Die Dunkelziffer sei jedoch vermutlich «wesentlich höher».

Hebamme als Unterstützung

Um die Betreuung betroffener Frauen kümmert sich Anna Margareta Neff, Leiterin der Beratungsstelle Kindsverlust.ch, mit ihrem Team aus Hebammen und Trauerbegleiterinnen. Betroffene Frauen können sich kostenlos bei der Beratungsstelle für ein Gespräch melden. In diesem Gespräch sei es wichtig, zu normalisieren und die Situation anzuerkennen. «Den Frauen hilft es, zu spüren, dass sie nicht alleine mit ihrer Sorge sind», so Neff. Bei Bedarf werden im Anschluss Anlaufstellen von Hebammen, die sich mit Trauerbegleitung auskennen, weitergegeben. Auch Kontakte zu spezialisierten Körper- und Psychotherapeut*innen oder anderen Fachpersonen und Angebote wie Selbsthilfegruppen werden vermittelt.

Auf die Frage, welches die grösste Schwierigkeit der Frauen darstelle, erklärt Neff, dass diese das Vertrauen in den eigenen Körper verlieren: «Sie machen sich Vorwürfe und glauben, ihr Körper hat nicht richtig funktioniert.» Es seien in erster Linie Selbstvorwürfe und ein Gefühl des Versagens, welche die Frauen beschäftigen.

Neff wünscht sich für die gesamte Thematik mehr Aufklärung. Es sei wichtig, dass betroffene Eltern wissen, an wen sie sich wenden können und dass der Einsatz einer Hebamme förderlich im Trauerprozess ist. Sie wünscht sich ausserdem, dass sich die Frauen Zeit nehmen und nicht mit einer Notfallstrategie reagieren: «Es geht nicht darum, ohne Kind weiter zu leben, sondern mit einem verstorbenen Kind weiter zu leben.» Neff ist überzeugt, dass bei 80 Prozent aller betroffenen Frauen der Trauerprozess gesünder verläuft, wenn man dem Körper und der Psyche Zeit gibt.

Wie kann ich helfen?

Kontaktpersonen von betroffenen Frauen rät Neff Folgendes: «Zuhören und keine gutgemeinten Tipps geben». Man soll der Frau Platz geben und ihr zeigen, dass es in Ordnung ist, die Gefühle zuzulassen. Und ganz wichtig: der Frau als Mutter zu begegnen. «Denn das ist sie geworden, auch wenn das Kind früh wieder gestorben ist.»

Auch kleine Gesten wie das Anzünden einer Kerze seien hilfreich, um zu zeigen, dass man an das verstorbene Kind denkt. Weniger hilfreich seien Kommentare wie beispielsweise: «Zum Glück jetzt. Zum Glück nicht später». Es sei auch in Ordnung zu sagen: «Ich bin überfordert und weiss nicht, was sagen». «Wichtig ist in erster Linie, Betroffenheit zu zeigen und das Thema nicht tot zu schweigen», so Neff.

Fehlgeborenes Kind wahrnehmen und verabschieden

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, mit einer Fehlgeburt  umzugehen. Neff rät, sich mit dem Kind auseinanderzusetzen, sich das Baby anzusehen und sich bewusst zu verabschieden. Für die anschliessende Bestattung gibt es verschiedene Optionen.

Eine Möglichkeit ist das Beisetzen in der Erde. Dafür könne man einen schönen Platz in der Natur oder auch im eigenen Garten wählen. Es gebe auch Friedhöfe, die eine Grabstätte für frühverstorbene Kinder anbieten, um das Kind beizusetzen. Ebenfalls möglich ist eine Einäscherung. Als Privatperson kann man sich dazu an ein Krematorium wenden und die Asche anschliessend verstreuen.

Notfallartige Reaktion

Der Prozess einer Fehlgeburt sei in der Regel ein natürlicher Vorgang, ohne dass von Seiten eines Arztes mittels Medikamenten eingegriffen werden müsse. Dennoch beobachtet Neff heute in der Regel ein anderes Vorgehen.

Oft käme es vor, dass während eines Ultraschalls in der 8./9. Schwangerschaftswoche von den Gynäkolog*innen festgestellt wird, dass das Herz des Kindes aufgehört hat zu schlagen. Die Folge ist eine notfallartige Reaktion seitens der Frau. «Viele Frauen beschreiben, dass sie in dem Moment das Kind so schnell wie möglich aus ihrem Körper haben wollen», so Neff.

Dies sei zwar verständlich, die Hebamme rät aber, sich Zeit zu lassen, um sich mit dem Geschehenen auseinanderzusetzen. So könnten Eltern aus dem Schockzustand herauskommen und wieder zu ihren eigenen Ressourcen zurückfinden. Dadurch könnte es eher gelingen, den weiteren Prozess dem Körper zu überlassen.

Dem Vorgehen der Spitäler und Gynäkolog*innen gegenüber äussert sich Neff kritisch. Diese richten sich nach der Notfallreaktion der Frau und unterstützen die Fehlgeburt des Kindes durch Einsatz von Medikamenten oder einer Ausschabung. «Das Ziel ist eine vermeintlich schnelle Erledigung des Problems und eine Instandsetzung der körperlichen Gesundheit», so Neff. Was dabei aber leide, sei die körperliche und psychische Unversehrtheit der Frauen.

Neff appelliert an alle Frauen: «Eine Fehlgeburt zu erleben, ist etwas Normales. Das gehört zu unserer Frauenbiografie. Wir Frauen können das.»

(nwe)

veröffentlicht: 2. Mai 2021 16:02
aktualisiert: 2. Mai 2021 18:57
Quelle: PilatusToday

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