Quelle: PilatusToday / David Migliazza / Tobias Renggli
36'000 Kilometer: Das ist ungefähr zehn Mal die Strecke von Luzern bis zum Nordkap. Oder drei Mal von hier bis nach Singapur. Insgesamt sieben Monate war Tobias Renggli mit seinem Velo unterwegs. Er besuchte 44 europäische Länder, bereiste etwa 400 Städte und bestieg 43 Landeshöhepunkte. Einzig der Aufstieg auf den Mont Blanc in Frankreich hat aufgrund schlechter Verhältnisse nicht geklappt. Es ist aber auch so definitiv eine Europa-Tour der Superlative.
Mitgenommen hat er auf die Reise nur das Allernötigste. Unterwegs war er allein. Geschlafen wurde meistens im Schlafsack auf einem aufblasbaren Mätteli. Irgendwo unter einer Autobahnbrücke, auf einem Feld oder am Meer. Nur sehr selten übernachtete er in einem warmen Bett. «Ich bin praktisch jeden Tag an einem anderen Ort aufgewacht», sagt er. Im Schnitt alle vier bis fünf Tage überquerte er wieder eine Landesgrenze. «Es ist schon unglaublich», fasst Renggli zusammen.
Seit vergangener Woche ist er zurück zu Hause. «Viele Eindrücke und Erlebnisse verarbeitete ich aber erst jetzt so richtig.» Seine Rückkehr wurde von vielen Verwandten und Bekannten ausgiebig gefeiert. «Das war definitiv eines der Highlights der Reise. Nach einer solch langen Zeit zu Hause anzukommen und wieder in der Nähe meiner Liebsten zu sein.»
Verhaftet in Litauen – Abgezockt in Istanbul
Gefeiert wurde auch, dass Renggli gesund und munter in Buchrain angekommen ist. Der Abenteurer zeigt sich sehr dankbar dafür. «Ich will mir nicht ausdenken, was mir auf der Reise alles hätte zustossen können.» Einschneidende Erlebnisse hat er dennoch zu erzählen. In Albanien wurde er von einem Strassenhund gebissen, in Montenegro übernachtete er unbewusst bei einem Drogen- und illegalem Waffenhändler, in der Türkei holte er sich eine Lebensmittelvergiftung, in Griechenland einen Sonnenstich und in Istanbul wurde er von einem Einheimischen abgezockt.
Einer der einprägsamsten Momente erlebte er jedoch in Litauen an der Grenze zu Belarus. «Der Landeshöhepunkt von Litauen liegt nur wenige Kilometer von der Grenze entfernt. Deshalb habe ich mir gedacht, dass ich einen Blick darauf werfe», erläutert Renggli. Ein Blick mit Folgen. «Als ich den Grenzzaun fotografierte, richteten sich plötzlich fünf Kameras auf mich.» Er sei dann mit dem Velo losgefahren und wurde nur wenig später von einem Polizeiauto verfolgt.
Weshalb er verhaftet wurde, wisse er nicht. «Weil mein Velo nicht ins Auto gepasst hat, bin ich dann dem Wagen mit Blaulicht hinterhergefahren», erzählt Renggli lachend. Auf dem Posten wurde er auf Russisch befragt. «Irgendwann musste ich dann irgendetwas unterschreiben und konnte den Bau, der an ein alt-sowjetisches Gefängnis erinnerte, verlassen.» Die Zeit in Gewahrsam machte ihm Angst. «Aber im Nachhinein ist es schon irgendwie eine lustige Geschichte.»
Unvergessliche Momente – wunderschöne Orte
200 Tage war Renggli unterwegs. Ein Highlight zu bestimmen, sei schwierig: «Ich war an so vielen schönen Orten.» Einer dieser unvergesslich schönen Momente hätte er auf der Spitze des höchsten Berges von Spanien gehabt: «Es war zwar erst mein zweites Land. Aber dieser Sonnenuntergang war unglaublich und gab mir enorm viel Energie für die weitere Reise.» Von den Städten ist ihm Barcelona, Istanbul und London in guter Erinnerung geblieben. «Aber auch Sarajevo oder Bukarest, für mich damals eher unbekannte Städte, waren sehr interessant und schön.»
Das Einzige was fehlte: Freunde und Familie. «Irgendwann fühlt man sich etwas einsam.» Seine Familie besuchte ihn zweimal, in Stockholm und Split. Ansonsten sah er tagsüber oftmals stundenlang keine Menschenseele. Mit der Zeit hätte er realisiert, dass ihm Menschen sehr wichtig seien und er Erlebnisse mit ihnen teilen möchte. «Für die Zukunft habe ich mir gesagt: Lieber mit Menschen, die mir wichtig sind, an einem weniger schönen Ort als allein am allerschönsten.»
Renggli kann neben seinen vielen Erinnerungen auch weitere wichtige Dinge mitnehmen: «Ich habe gelernt, dass man viel mehr erreichen kann, als ich mir jemals vorstellen konnte.» Sein Erlebtes möchte er in Zukunft an Vorträgen weitergeben und ein Fotobuch zur Europa-Tour realisieren. Und was auch klar ist: Das letzte Abenteuer war es nicht. Mit einem Augenzwinkern sagt er: «Ich habe nun 44 Länder besucht. Auf der Welt sind es über 190. Es gibt also noch einiges zu tun.»