Kubaner erzählt

«Höchste Zeit, dass es in Kuba zu einer weiteren ‹Revolution› kommt»

22.07.2021, 10:24 Uhr
· Online seit 21.07.2021, 14:23 Uhr
Seit der Revolution vor 62 Jahren kam es nicht mehr zu solchen Szenen: In Kuba ging die Bevölkerung in den vergangenen Wochen auf die Strasse und demonstrierte gegen die Regierung. Wir haben mit einem Kubaner aus Nidwalden über die Situation gesprochen.
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Wie sieht die Situation in Kuba aus?

Terán Hechavarría: «Die Situation ist kritisch. Schon länger hat die neue Generation versucht, der Regierung zu sagen und zeigen, dass sie nicht einverstanden ist mit den Regeln und den Ideen des Kommunismus. Bis anhin konnte die Regierung jegliche Art von Aufständen im Keim ersticken, diesmal gelang ihr dies bei dieser grossen Menge von Menschen nicht. Es kam zu Gewalt der Polizei gegen die Aufständischen.»

Wie erlebst du die Situation gerade?

Terán Hechavarría: «Es ist eine sehr emotionale Situation für mich. Einerseits wäre es höchste Zeit, dass es in Kuba zu einer weiteren ‹Revolution› kommt und die Menschen ihren Unmut kundtun, andererseits mache ich mir auch Sorgen darüber, was kommt. Ich erhoffe mir sehr, dass diese Situation zu Veränderungen führt. Dafür braucht es aber auch die Unterstützung anderer Länder. Es wäre für mich schlimm, wenn das Ganze in ein paar Tagen oder Wochen wieder vorbei und vergessen ist und alles so weiter geht, wie bisher.

Schwierig ist es für mich auch, dass ich in dieser Situation nicht in Kuba bin und mich auf die Seite der Aufständischen stellen kann. Jedoch bin ich glücklich, zu sehen, dass es auch in anderen Ländern zu Kundgebungen kommt. Auch in der Schweiz haben sich die Kubaner zusammengeschlossen und an verschiedenen Orten Kundgebungen organisiert. An einer von diesen werde ich sicher teilnehmen und für Kuba kämpfen.»

Wo informierst du dich über die Lage?

Terán Hechavarría: «Die Informationen, die ich hier in der Schweiz bekomme, stammen von Videos auf Facebook und Instagram und von einer Nachrichten App «CiberCuba». Da die Regierung jedoch die Internetverbindung unterbrochen hat, ist der Informationsfluss nach aussen stark eingeschränkt und ich weiss nicht, wie die genaue Lage im Moment ist. Ebenfalls wurde nicht kommuniziert, ob und wie viele Vermisste, Tote oder Verletzte es bereits gibt. Weiterhin versuche ich möglichst viele Infos über die sozialen Medien zu bekommen, was jedoch nicht ganz einfach ist.»

Wie geht es deiner Familie?

Terán Hechavarría: «Meiner Familie geht es zum Glück gut. In Baracoa, wo ich herkomme, sind anscheinend fast keine Leute auf die Strasse gegangen. Das ärgert mich, da die Leute anscheinend zu grosse Angst haben, ihre Meinung zu sagen. Denn ich weiss, dass die Situation auch in Baracoa sehr schwierig ist. Nahrungsmittel, Medikamente und andere Güter sind auch hier extrem knapp oder nicht vorhanden. Dies höre ich von meinen Freunden und Familie, die noch dort wohnen.»

Was glaubst du, warum es nun zu Protesten gekommen ist?

Terán Hechavarría: «Es ist nicht das erste Mal, dass es zu Protesten kommt, jedoch noch nie in dieser Grösse. Früher hatte man gar nicht die Möglichkeit, sich über die sozialen Medien zu organisieren und auszutauschen. Ausserdem hat sich die Lage in den letzten Monaten verschlimmert. Das Hauptproblem ist, dass die jungen Menschen in Kuba keine Zukunftsaussichten haben

Terán Hechavarría: «Grundsätzlich ist es so, dass die Leute grosse Angst haben, sich gegen die Regierung zu äussern, da sie damit rechnen müssen, im Gefängnis zu landen. So hat die Regierung ständig die Kontrolle. Die älteren Leute leben mit dieser Angst praktisch seit ihrer Geburt. Bei den jüngeren hat sich dieses Denken geändert. Sie wollen ihre Meinung sagen und wehren sich gegen diese Unterdrückung. Ebenfalls ist es so, dass berühmte Leute aus Kuba wie Musiker, Schauspieler und Sportler immer mehr auch kritisch der Regierung gegenüberstehen. Dies war früher praktisch undenkbar. Diese Leute machen der Bevölkerung Mut, sich auch kritisch zu äussern. Ein Beispiel dafür ist das Lied "Patria y vida", das berühmte Musiker aus Kuba gemacht haben, das sich kritisch dem System gegenüberstellt. Der Titel «Patria y vida» spielt auf den Spruch der Revolution «Patria o muerte» an.»

Was muss passieren, dass sich die Lage wieder beruhigt?

Terán Hechavarría: «Es gibt verschiedene Wege. Der schönste für mich wäre, wenn die Regierung endlich einsieht, dass der Sozialismus nicht funktioniert. Die Regierung soll der unzufriedenen Bevölkerung zuhören und ihre Meinung ernst nehmen. Es müssen Gespräche stattfinden und gemeinsam Lösungen gesucht werden. Somit hätten wir endlich ein wirkliches «Cuba libre».

Aber leider glaube ich nicht, dass es so einfach sein wird. Die Regierung wird nicht so schnell aufgeben und sich gegen die Aufständischen stellen. Ich hoffe, dass dies mit möglichst wenig Gewalt verbunden ist. Jedoch hoffe ich auch, dass die Bevölkerung nicht aufgibt und weiterkämpft. Dafür braucht es viel Durchhaltewillen und Kraft der Bevölkerung.»

Was wünschst du dir für Kuba?

Terán Hechavarría: «Das Kuba endlich ein freies Land ist. Meinungsfreiheit, Informationsfreiheit, Versammlungsfreiheit, keine willkürlichen Verhaftungen, Anspruch auf rechtliches Gehör ... das diese Menschenrechte endlich auch in Kuba gelten. Es ist höchste Zeit, dass sich etwas ändert auf dieser wunderschönen Insel und die Diktatur, die sich hinter dem Sozialismus versteckt, beendet wird. Viva Cuba Libre!»

*Das Interview wurde schriftlich geführt.

veröffentlicht: 21. Juli 2021 14:23
aktualisiert: 22. Juli 2021 10:24
Quelle: PilatusToday

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