Knatsch in Vitznau

«Gemeinde zerstört meine Existenz!» – Bauvorhaben wird zum Albtraum

· Online seit 05.09.2023, 19:31 Uhr
2014 hat Heinz Kelderer von der Gemeinde Vitznau eine Baubewilligung erhalten. Doch das geplante Haus ist noch immer nicht fertiggestellt: Bauherr und Gemeinde sind schwer im Streit. 1,5 Millionen Franken soll Kelderer bisher in den Bau investiert haben. Nun droht der Rückbau per Ende Oktober, die Gemeinde will nach mehreren Fristverlängerungen ihre Glaubwürdigkeit nicht verlieren.

Quelle: Tele 1

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«Es ist eine sehr umfangreiche Sache», sagt Heinz Kelderer im Gespräch. Eine komplexe Geschichte, die vor rund zehn Jahren ihren Anfang nahm. Der heute 63-jährige ehemalige Treuhänder wollte sich einen Traum erfüllen: ein Eigenheim mit Blick auf den Vierwaldstättersee. Nachdem Kelderer gemäss eigenen Angaben praktisch sein ganzes Vermögen investiert hat – rund 1,5 Millionen (exklusive Bauland) – könnte sein Vorhaben nun als Albtraum enden. Doch der Reihe nach.

Bau-Stillstand über mehrere Jahre

Die Gemeinde Vitznau erläuterte auf Anfrage von PilatusToday und Tele 1 anhand einer Chronologie, wie die Differenzen ihren Anfang nahmen. Nach Baubeginn im Januar 2016 seien die Bauarbeiten bereits im November desselben Jahres wieder eingestellt worden. Nach rund zwei Jahren Stillstand, laut Kelderer aufgrund finanzieller Schwierigkeiten, wies die Gemeinde ihn im Oktober 2018 darauf hin, dass eine Bauunterbrechung längstens zwei Jahren dauern darf. Aufgrund öffentlicher Interessen (Eingliederung und Sicherheit) verlangte die Gemeinde, dass der Bau bis Ende April 2019 fertiggestellt wird.

In der Folge kam es zu Fristverlängerungen, Verwaltungsgerichtsbeschwerden und Einsprachen. Was beidseitig nicht bestritten wird, ist der Fakt, dass das Bauvorhaben sehr lange dauerte. Die Begründungen gehen jedoch weit auseinander. Heinz Kelderer sagt: «Die Gemeinde legte mir, wenn es nur irgendwo geht, Steine in den Weg. So kann ich gar nicht vorwärtskommen.» Er spricht damit Auflagen an, die ihm während des Bauverfahrens gemacht worden seien: «Ich bin in Verzug geraten wegen des äusserst unkooperativen und willkürlichen Verhaltens der Behörden.»

Die Gemeinde sieht dies komplett anders. «Trotz mehrfacher Aufforderung von uns, den Bau endlich fertigzustellen, hat die Bauherrschaft nicht weitergebaut», sagt Gemeindepräsident Herbert Imbach. Vitznau entschied deshalb im Juli 2021 ein erstes Mal, die Baubewilligung aufzuheben. Im dazugehörigen Schreiben an Heinz Kelderer steht: «Das öffentliche Interesse an der Eingliederung und an der Sicherheit überwiegt Ihr privates Interesse an der Beibehaltung des erstellten Rohbaus deutlich. (…) Nach diesen Ausführungen haben Sie den Rohbau auf Grundstück Nr. 639 abzubrechen und den vor Aufnahme der Bauarbeiten gemäss Baubewilligung vom 18. Februar 2014 bestehenden Zustand wiederherzustellen.»

Kelderer hatte zu wenig flüssige Mittel

Heinz Kelderer organisierte in der Folge einen neutralen Mediator, um die Verhandlungen mit der Gemeinde nochmals aufzunehmen: «Die Fronten waren extrem verhärtet.» Der Mediator schlug eine Vergleichsvereinbarung vor. «Die letzte Frist für die Fertigstellung der Baute inklusive Umgebung und Schadensbehebung (...) wird auf 31. März 2023 festgesetzt. Die Frist darf nur aufgrund höherer Gewalt seitens Gemeinderats verlängert werden», steht in der Vereinbarung. Unterschrieben wurde diese unter anderem von Heinz Kelderer und dem Vitznauer Gemeindepräsidenten Herbert Imbach.

Ein konstruktiver Lösungsansatz. Beide Parteien bekannten sich zu einer möglichst raschen Fertigstellung des Hauses. Knackpunkt: Heinz Kelderer musste der Gemeinde Vitznau belegen, dass er über 860'000 Franken Vermögen für den Weiterbau verfügt. Der schriftliche Kapitalnachweis, der Kelderer im Juni 2022 den Behörden überreichte, betrug jedoch nur 500'000 Franken.

Auch nach mehrmaliger Nachfrage lieferte Heinz Kelderer die fehlenden 360'000 Franken Nachweis nicht. Der Bauherr versuchte folglich seine Eigentumswohnung in Zug zu verkaufen. «Das brauchte logischerweise ein wenig Zeit. Man kann eine Wohnung nicht von heute auf morgen verkaufen», sagt er.

Wohnung zu spät verkauft

Am 16. März 2023 suchte Heinz Kelderer nochmals das Gespräch mit der Gemeinde und erklärte dem Bauamt, dass er Kaufinteressenten für die Liegenschaft in Zug gefunden hätte. Innerhalb einer Woche nach der Besprechung sollte er die Verkaufsdokumente den Behörden zustellen. Dies tat er, gemäss der Gemeinde, allerdings nicht.

Daher schrieb die Gemeinde am 5. April 2023, dass ein Rückbau bei der nächsten Gemeinderatssitzung beschlossen werde. Dass Heinz Kelderer etwas später seine Wohnung in Zug verkaufte und der Gemeinde Anfang Juli 2023 schliesslich einen Kapitalnachweis über 900'000 Franken zukommen liess, half nichts mehr. Das Tischtuch scheint zerschnitten, eine Lösung (zumindest vorerst) vom Tisch.

Kelderer benötigt noch neun Monate

«Wir hatten regelmässigen Austausch und konnten uns immer wieder einigen, bis wann das Gebäude fertiggebaut werden soll. Leider wurden diese Vereinbarungen nie eingehalten und wir haben deshalb entschieden, einen Schlussstrich zu ziehen», erklärt Gemeindepräsident Herbert Imbach.

Auf die Frage, ob er in der rund zehnjährigen Angelegenheit Fehler gemacht hätte, antwortet Kelderer: «Ich habe die unkooperative und unkonstruktive Haltung und Missgunst der Gemeinde deutlich unterschätzt. Von einer Gemeinde hätte ich dies nicht erwartet.» In den Gesprächen meint Heinz Kelderer immer wieder, dass er nun in der Lage sei, den Bau zu beenden. «Wenn man mich bauen lässt, bin ich innert neun Monaten fertig.»

Danach sieht es aktuell aber nicht aus. Stand August 2023 fordert die Gemeinde einen Rückbau bis zum 31. Oktober 2023. Heinz Kelderer sagt dazu: «Das lasse ich nicht zu. Ich bin bereit, aufs Ganze zu gehen. Wenn die Gemeinde Anfang November mit dem Bagger vorfährt, kette ich mich an.» Für ihn sei das Verhalten der Gemeinde Vitznau «instrumentalisiert» und «skandalös». Die Gemeinde handle unkooperativ: «Die Gemeinde zerstört meine Existenz. Es ist für mich der absolute Supergau, wenn ich den Rohbau abreissen müsste.»

Gemeinde offeriert Lösung, Anwalt hält diese für wenig realistisch

Bei der Gemeinde Vitznau heisst es, dass man Heinz Kelderer bereits mehrfach eine Lösung angeboten hätte: Der Verkauf der Liegenschaft, wobei der neue Bauherr ein neues Baugesuch einreichen könnte. «Ein Rückbau des Rohbaus kann nach Einreichung und Bewilligung eines solchen Baugesuchs verhindert werden», schreibt die Gemeinde. Dies sei auch im Interesse der Gemeinde: «So könnte man die Bausubstanz erhalten und mit dem neuen Eigentümer schauen, wie man vorwärtskommen könnte.»

Dass die Gemeinde auf ein neues Baugesuch und nicht auf eine erneute Fristerstreckung hinarbeitet, hätte folgenden Grund: «Wir haben dies mehrfach probiert, bereits über drei Mal. Irgendwann verlieren wir auch unsere Glaubwürdigkeit gegenüber den Nachbarn und der Allgemeinheit», erklärt Herbert Imbach. Dies, obwohl ein neues Baugesuch wohl nochmals zusätzlich Zeit beanspruchen würde: «Wenn man bereits mehr als elf Jahre lang gewartet hat mit Bauen, kann man auch nochmals das halbe Jahr länger warten, dass dadurch zusätzlich benötigt würde.»

Der Anwalt von Heinz Kelderer entgegnet, dass falls ein neues Baugesuch gestellt wird, dieses – wenn überhaupt – unmöglich innert nützlicher Frist (vor dem Abbruchdatum) bewilligt würde. «Es braucht in jedem Fall eine Gemeinde, die nach Lösungen sucht und nicht nach Wegen, Herrn Kelderer zu schaden», schreibt Rechtsanwalt Joel Steiner und fügt hinzu: «Ein neues Baugesuch ist keine realistische Option, solange die Gemeinde gleichzeitig auf den Abriss hinarbeitet.»

Summa summarum ist noch nicht absehbar, was mit dem Bau passieren wird. Eine Beschwerde beim Luzerner Kantonsgericht ist hängig, das Verfahren läuft. Klar ist: Das letzte Kapitel in dieser Geschichte ist noch nicht geschrieben.

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veröffentlicht: 5. September 2023 19:31
aktualisiert: 5. September 2023 19:31
Quelle: PilatusToday

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redaktion@pilatustoday.ch