Alternative Stadtführung

Deshalb steht «Abseits Luzern» vor dem Aus

29.07.2022, 21:08 Uhr
· Online seit 29.07.2022, 18:43 Uhr
Gassenküche oder Notschlafstelle: Der Verein «Abseits Luzern» zeigt Interessierten die unbekannten Seiten Luzerns in einer Führung. Ein Guide und der Präsident des Vereins verraten uns, weshalb immer weniger Menschen ihre persönliche Geschichte abseits der Gesellschaft erzählen.
Anzeige

Wir treffen Marcel im «Wärchbrogg-Bistro» im Luzerner Vögeligärtli. Hier startet heute auch die Tour, zurück in seine Zeit als Drogenabhängiger. Marcel führt als Guide von «Abseits Luzern» Menschen an Orten vorbei, die sie sonst nicht sehen, etwa die Luzerner Notschlafstelle oder die Gassenküche. Viele dieser Orte waren für Marcel während seiner Heroinsucht wichtig.

Besucher erhalten einen intimen Einblick in sein Leben. «Damit habe ich kein Problem», sagt er und lacht: «Im Gegenteil: Ich lasse die Hosen weit runter.» 2017 erzählte er seine Geschichte zum ersten Mal, mittlerweile hat er über 200 Touren geführt.

Bald keine Touren mehr?

Gegründet wurde der Verein «Abseits Luzern» vor sechs Jahren von Marco Müller. Das Ziel: den Tourbesuchern einen neuen Blick auf die Stadt zu geben. Mit Erfolg: Rund 13’000 Menschen besuchten die Tour durch Luzern bereits.

Die Nachfrage ist dementsprechend gross. Zu gross, wie Marco Müller sagt: «Wir lehnen jede Woche wieder Anfragen ab, weil wir zu wenig Guides haben.» Von ursprünglich sechs Guides arbeiten nur noch zwei im Verein mit: «So akut wie jetzt war die Situation noch nie.» Konstante Partner zu finden, sei nicht einfach: Die Perspektiven der Guides verändern sich. «Plötzlich finden sie einen Job, oder sie haben einen Rückfall in ihre Sucht.» Alle hätten eine Chance verdient. Aber: Wer nicht mehr pünktlich und zuverlässig sei, könne keine Touren mehr anbieten.

Mehrere Faktoren führen zu weniger Guides

Zu Beginn wurden viele Betroffene von sozialen Institutionen an den Verein vermittelt. «Das erleben wir aktuell weniger», sagt Vereinspräsident Marco Müller. Innerhalb des letzten Jahres haben einige Guides den Verein verlassen, aus unterschiedlichen persönlichen Gründen. Auch ein Ende des Angebots scheint möglich: «Wenn es fertig ist, ist es so.» Damit der Verein weiter die Touren anbieten kann, wünscht sich Müller drei neue Guides im Team. Melden kann man sich auf der Webseite des Vereins.

Dass seine Guide-Kollegen weiterziehen, versteht Marcel: «Auch ich würde weiterziehen, wenn ich ein richtiges Jobangebot erhalten würde.» Ein weiterer Punkt sei der finanzielle Aspekt: «Ich gebe genau an, wie viel ich mit den Touren verdiene.» Ihm bleiben rund 100.- Franken pro Monat, den Rest verrechnet das Sozialamt mit seiner Sozialhilfe. Da bleibe nicht viel. «Wenn mehr Geld bei den Guides bleibt, würden sich wohl auch mehr Leute für den Job melden», findet er. Denn der Verein habe ein gutes Image in der Szene.

Marco Müller ordnet ein: «Weil praktisch alle Guides Sozialhilfe beziehen oder ihr Lohn gepfändet wird, kann der Eindruck entstehen, dass wenig im eigenen Portemonnaie landet.» Das stimme aber nicht: «Die Guides bekommen pro Tour eine Entschädigung, die über dem liegt, was eine ungelernte Person im Gastrobereich verdient.»

Marcel gefällt die Arbeit bei «Abseits Luzern»: «Ich schätze das positive Feedback der Gruppen.» Rund 20 Menschen darf Marcel nach unserem Gespräch seine Geschichte erzählen. Er macht den Regenschirm bereit und begrüsst die Gäste. Trotz aufziehendem Gewitter mit einem verschmitzten Lächeln im Gesicht.

Hier siehst du, wie eine Tour bei Abseits Luzern abläuft:

Quelle: Tele 1

veröffentlicht: 29. Juli 2022 18:43
aktualisiert: 29. Juli 2022 21:08
Quelle: PilatusToday

Anzeige
Anzeige
redaktion@pilatustoday.ch