Zentralschweiz
Luzern

Luzernerin beschuldigte Stiefvater des Missbrauchs

Freispruch

Luzernerin beschuldigte Stiefvater des Missbrauchs

20.04.2020, 10:36 Uhr
· Online seit 20.04.2020, 05:44 Uhr
Eine Luzernerin wirft ihrem Stiefvater vor, er habe sie 1995, als sie zehn Jahre alt gewesen sei, sexuell missbraucht. Das Kriminalgericht hat aber erhebliche Zweifel an den Aussagen der Frau und spricht den Beschuldigten frei.
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Eine Frau bezichtigte ihren Stiefvater, sie und ihre beiden acht und sechs Jahre alten Schwestern ins Bad gerufen, ihnen seinen Penis gezeigt und sie aufgefordert zu haben, an seinem «Vögeli» zu reiben, bis dieses «kötzeln» werde, was sie dann auch getan habe. Eine Woche später habe der Stiefvater sie in ihrem Bett vergewaltigt. Ihr Pyjama und ihr Bett seien danach voll mit Blut gewesen.

Die Familie, in der dies passiert sein soll, war alles andere als harmonisch. Die Mutter war eine Alkoholikerin mit wechselnden Partnern. Die Kinder wurden 1997 in einem Heim untergebracht.

Mädchen geschlagen

Der Stiefvater hatte mit der Mutter einen gemeinsamen, erst wenige Monate alten Sohn. Der Vater schlug die Mädchen regelmässig. Dies sei verwerflich und durch nichts zu rechtfertigen, schreibt das Kriminalgericht.

Die Richter schenkten den Aussagen des Beschuldigten bezüglich der Sexualdelikte aber mehr Glauben als dem mutmasslichen Opfer. Der Mann habe im Kernbereich konstant und widerspruchsfrei ausgesagt. Anhaltspunkte, dass er sich sexuell zu Kindern hingezogen fühle, gebe es keine.

Als Motiv für die Übergriffe hatte das mutmassliche Opfer angegeben, ihr Stiefvater sei sexsüchtig gewesen. Die Mutter bestätigte dies jedoch nicht, und auch das Gericht stufte es als unwahrscheinlich ein, dass ein nicht pädophiler Mann sich an einem körperlich eher unterentwickelten Mädchen vergreift, bloss weil seine Partnerin zu wenig oft mit ihm Geschlechtsverkehr gehabt haben soll. Ein klares Tatmotiv sei nicht auszumachen, halten die Richter fest.

Nicht stimmig und widersprüchlich

Dem mutmasslichen Opfer hielt das Gericht zu Gute, dass es den angeblichen Vorfall im Badezimmer authentisch und plausibel schildere. Weitere Aussagen seien aber nicht stimmig und widersprüchlich. Die Angaben anderer Familienmitglieder liessen ebenfalls Zweifel an der Darstellung der Frau aufkommen.

So sagte ihre Schwester, sie könne sich nicht an sexuelle Übergriffe oder Gespräche darüber erinnern. Das Gericht hält es für wenig wahrscheinlich, dass die 1995 Achtjährige einen so extrem aussergewöhnlichen Vorfall wie das «Vögeli-Spiel» vergessen konnte.

Das mutmassliche Opfer sprach erst Jahre später gegenüber ihrer Frauenärztin von sexuellen Übergriffen. In einer psychotherapeutischen Behandlung 1998 und 1999, als sie in einem Heim lebte, erwähnte sie solche Vorkommnisse noch nicht, sie wurde aber im Rahmen der Therapie darauf angesprochen.

Mögliches Rachemotiv

Das Gericht schliesst nicht aus, dass dieses Ansprechen das Mädchen, das gegenüber seinem gewalttätigen Stiefvater negative Emotionen gefühlt und in einer Phantasiewelt gelebt habe, beeinflusst haben könnte. Ob es tatsächlich so gewesen sei, könne aber offen bleiben, ein mögliches Rachemotiv müsse zur Entlastung des Beschuldigten nicht bewiesen werden. Es gelte die Unschuldsvermutung und der Grundsatz «im Zweifel für den Angeklagten».

Es sei zwar schon möglich, dass die Vorwürfe der Frau der Wahrheit entsprechen würden, hielt das Gericht fest. Bewiesen seien sie jedoch nicht. Vielmehr bestünden erheblich Zweifel an der Wahrheit der Belastungen, weshalb der Beschuldigte freizusprechen sei.

Das Gericht hatte das Urteil im November 2019 gefällt und lieferte am Sonntag die schriftliche Begründung nach. Der Freispruch ist nicht rechtskräftig. Die Staatsanwaltschaft hatte beantragt, den 57-Jährigen wegen Vergewaltigung und sexuellen Handlungen mit Kindern zu einer Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren zu verurteilen.

veröffentlicht: 20. April 2020 05:44
aktualisiert: 20. April 2020 10:36
Quelle: PilatusToday

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